Rüdiger Kruse (CDU) gewann 2009 überraschend den Wahlkreis Eimsbüttel. Um ihn zu verteidigen, muss er früh aufstehen – und braucht Humor.

Hamburg. Er ist der Star am Schlump. Umgeben von einer Menschentraube. Alle wollen ein Autogramm von dem Mann in dem Nadelstreifenanzug und dem blütenweißen Hemd. Der rote Teppich und Blitzlichtgewitter fehlen. Trotzdem wird Rüdiger Kruse wie ein Popstar gefeiert.

Mehr als ein Dutzend Schulkinder umringen den CDU-Bundestagsabgeordneten und wedeln mit Stiften und Flugblättern vor seiner Nase. „Darf ich auch ein Autogramm“, ruft ein Mädchen mit Zöpfen und springt aufgeregt auf und ab. Klar, darf sie. Und einen chinesischen Glückskeks mit der Botschaft „Ihr Hamburger in Berlin – Rüdiger Kruse“ gibt es obendrauf. Der CDU-Politiker, der zum zweiten Mal als Direktkandidat in Eimsbüttel antritt, schreibt geduldig für jedes Kind seinen Namen neben sein Bild auf den Flyern, scherzt nebenbei mit den Schülern. Neue Wähler wird er damit wohl nicht gewinnen. Aber Spaß muss sein. Auch im Wahlkampf-Endspurt.

7.30 Uhr an der U-Bahn-Station Schlump. Menschen, viele noch mit kleinen, müden Augen, hasten vom Bus zur Bahn und umgekehrt. Ausgeschlafen, gut gelaunt und mit einem Dauerlächeln im Gesicht präsentieren sich dagegen Rüdiger Kruse und sechs junge Frauen und Männer in leuchtend orangefarbenen T-Shirts mit dem Aufdruck „CDU – Team Kruse“, die Handzettel, Kugelschreiber und Kekse verteilen. Die einen greifen im Vorbeigehen zu, einige grüßen Herrn Kruse sogar mit Namen und erwidern sein Lächeln. Die anderen ignorieren den 52-Jährigen samt Wahlkampfhelfer, richten den Blick zu Boden oder schütteln den Kopf. „Ich wähle sowieso die SPD“, sagt ein Mann Mitte 40. Kruse nimmt es mit Humor: „Einen muss es ja geben.“

„Frühverteilung“ nennt sich die Aktion der Christdemokraten am Schlump. Kommende Woche wird Kruse jeden seiner Tage damit beginnen, an verschiedenen Orten im Wahlkreis 20, so der offizielle Name, Flyer zu verteilen. Kein einfacher Job so früh am Morgen. Zeit für Gespräche haben die Passanten meistens nicht. „Quick and dirty“ (schnell und schmutzig) nennt Kruse diese Aktionen augenzwinkernd. Mehrere Tausend Flyer hat er bereits in den vergangenen Wochen verteilt, an mehr als einem Dutzend Podiumsdiskussionen teilgenommen, an Infoständen über die Energiewende („Der Rückkauf der Energienetze ergibt keinen Sinn“), über die Pläne zur Busbeschleunigung („Rausgeschmissenes Geld, dafür hätten wir auch die Stadtbahn bauen können“) und andere Themen gesprochen, die die Bürger bewegen.

„Freundlich und störungsfrei“ sei der Wahlkampf bisher verlaufen. Es gebe mehr Zuspruch als bei der Bundestagswahl 2009. „Die Menschen sind unterm Strich zufrieden damit, wie Angela Merkel regiert“, sagt er. Kruse, liberales Aushängeschild der Union, will wie vor vier Jahren erneut in Eimsbüttel das Direktmandat holen. Damals gelang ihm ein Sensationssieg. Als erster CDU-Politiker errang er in Eimsbüttel, das seit beinahe 50 Jahren als rote Festung gilt, das Bundestagsdirektmandat: Er erhielt 31,3 Prozent der Erststimmen – mit einem Abstand von rund fünf Prozent zu den Grünen und sieben Prozent zur SPD. Rüdiger Kruse ist optimistisch, die Stimmen von damals noch zu toppen. „Mein Vorteil ist, dass mich die Leute kennen und ich ihnen erzählen kann, was ich in Berlin und für die Stadt Hamburg getan habe", sagt Kruse und verweist auf die Bezuschussung für das Reeperbahnfestival und die Sanierung der Ruine von St. Nikolai.

Im Unterschied zu heute profitierte Kruse damals von dem innerparteilichen Zoff der SPD bei der Kandidaten-Nominierung. Völlig überraschend hatte Danial Ilkhanipour seine Kandidatur bekannt gegeben und das Lager von Niels Annen überrumpelt, indem er hinter den Kulissen für seine Mehrheit gesorgt hatte. Dieses Mal stehen die Sozialdemokraten voll hinter ihrem Eimsbüttler Direktkandidaten. Niels Annen, der bereits von 2005 bis 2009 für den Wahlkreis Eimsbüttel im Bundestag saß, kämpft nach dem Debakel vor vier Jahren erneut um die Stimmen der Wähler. Die alten Wunden sind verheilt. „Die Geschichte von damals spielt keine Rolle mehr“, sagt der 40-Jährige, der in der Zwischenzeit sein Universitätsstudium in Washington mit einem akademischen Titel abgeschlossen hat. „Am Ende haben alle verloren: Herr Ilkhanipour, die SPD und ich.“ Annen schaut nach vorne. „Wenn wir unsere Leute an die Urne holen, hat Rüdiger Kruse keine Chance.“ Bereits als Sieger wähnt er sich jedoch nicht. „Wir können uns nicht darauf ausruhen, dass es in Eimsbüttel immer sozialdemokratisch war“, sagt er. Die Zeiten seien vorbei. Seit zwei Monaten ist Annen von seiner Arbeit freigestellt, konzentriert sich zu 100 Prozent auf den Wahlkampf, macht zig Hausbesuche, will mit den Menschen persönlich sprechen. „Viele freuen sich, dass ich wieder kandidiere.“ Zuspruch, der guttut. Und motiviert.

Heute steht der Besuch bei Geschäftstreibenden in Eidelstedt auf dem Programm. Ein kleiner Supermarkt, seit Jahrzehnten ein Familienbetrieb. Ja, es gehe ihnen gut, aber die Kaufkraft der Kunden nehme leider ab, sagt der Ladeninhaber. „Den Leuten fehlt das Geld. Da die Mieten immer teurer werden, sparen sie am Essen.“ Niels Annen hört aufmerksam zu, nickt verständnisvoll und erklärt, warum die Einführung eines Mindestlohns und einer Mietpreisbremse auch die Kaufkraft stärken kann. Wahlkampf an der Fleischtheke zwischen Mett, Rindsleber und Kalbsschnitzel. Den Supermarktbesitzer hat Niels Annen überzeugt. Anders als die ältere Dame an der Kasse. „Herr Annen, hier hängen schon viel zu lange Ihre Plakate, viele können Sie nicht mehr sehen“, kritisiert sie. Sie wünscht ihm alles Gute. „Auch wenn ich Sie nicht wählen werde.“

Alle zu überzeugen ist eben unmöglich – das weiß auch Anna Gallina, die Grünen-Direktkandidatin in Eimsbüttel. Im Gegensatz zu Krista Sager, die 2009 fast 26 Prozent der Erststimmen erhielt, kennen die Bürger die junge Frau höchstens von den Plakaten. „Das Ergebnis von Frau Sager ist glücklicherweise nicht der Maßstab“, sagt die 30-Jährige, die sich vor allem für die Familien- und Sozialpolitik einsetzt. Zweifellos gibt es viel grünes Potenzial in Eimsbüttel – aber für ein Direktmandat werde es wohl nicht reichen. Ebenso wie Burkhardt Müller-Sönksen geht es auch der Grünen-Politikerin darum, möglichst viele Zweitstimmen zu erhalten. Gallina: „Schließlich ist der rot-grüne Regierungswechsel das oberste Ziel.“

Kersten Artus zweifelt an diesem Wechsel. Dafür glaubt sie daran, dass sie als Direktkandidatin der Linken in Eimsbüttel das Neun-Prozent-Ergebnis von 2009 toppen kann. „Das wäre ein respektables Ergebnis“, sagt sie. Dass die SPD bei der Bundestagswahl Chancen auf einen Sieg hat, zweifelt sie dagegen an. Artus: „Angela Merkel werden wir sowieso nicht los.“