Müssen die Griechen die Währungsunion verlassen? Wie stark treffen die Probleme auf den Finanzmärkten unsere Stadt? Das Abendblatt hakte nach – beim großen Hamburger Bankengipfel.

Abends über den Dächern Hamburgs. Das Abendblatt hat ins Verlegerbüro des Axel-Springer-Hauses geladen. Eine spannende Diskussion entwickelt sich unter Hamburgs Top-Bankern. Besonders im Fokus: Die Folgen der historisch niedrigen Zinsen für die Banken und ihre Kunden. Sogar von Altersarmut war in diesem Zusammenhang die Rede.

Hamburger Abendblatt: Das beherrschende Thema im Finanzsektor seit mehr als drei Jahren ist die Schuldenkrise in Europa. Zuletzt scheint sie aber an Brisanz verloren zu haben. Ist die Gefahr für den Euro vorüber?

Harald Vogelsang: Ich denke, es ist noch zu früh für eine zuverlässige Einschätzung. Was wir derzeit sehen, ist eine erfreuliche Beruhigung der Lage. Das hilft ganz besonders der Wirtschaft in Hamburg, die stark vom Welthandel abhängig ist. Zu verdanken haben wir diese Beruhigung dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, der im Juli 2012 zugesichert hatte, die Notenbank werde alles tun, um die Gemeinschaftswährung zu erhalten. Bald darauf hat die EZB tatsächlich begonnen, Staatsanleihen von hoch verschuldeten Euro-Ländern aufzukaufen, so dass die Zinsen, die diese Staaten zahlen mussten, im Rahmen blieben. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Ursachen der Krise nicht beseitigt sind. Es ist noch keineswegs sicher, dass alle Länder die Kurve kriegen.

Christian Olearius: Es ist der erklärte politische Wille, am Euro festzuhalten. Ich glaube, daran zweifelt keiner mehr.

Adelheid Sailer-Schuster: Ich fürchte, dass die Krise noch nicht überwunden ist. Entscheidend ist, dass die Ursachen nachhaltig angegangen werden. Die strukturellen Verkrustungen, die in einigen Ländern zu einem deutlichen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit geführt haben, lassen sich nicht über Nacht beseitigen. Nötig sind die weitere Konsolidierung der Staatsfinanzen sowie die Fortsetzung der eingeleiteten strukturellen Reformen.

Reiner Brüggestrat: Vor gut einem Jahr hat EZB-Präsident Draghi den Fuß auf die Lunte gesetzt, aber sie glimmt weiter. Nach meiner Einschätzung werden die nächsten 15 bis 18 Monate für das Schicksal der Währungsunion entscheidend sein. Wenn es bis dahin nicht gelingt, eine wirksame Konsolidierung der Staatsfinanzen einzuleiten, dann wird der Euro implodieren. Irgendwann sind auch die Kräfte der EZB und der politischen Institutionen am Ende.

Wird die Euro-Zone in fünf Jahren noch so aussehen wie heute?

Olearius: Ich wage die Prognose, dass alle jetzigen Mitgliedsländer auch dann noch dabei sein werden – aus politischen Gründen.

Vogelsang: Zumindest wird die Währungsunion in fünf Jahren noch ähnlich groß sein wie heute. Es kann aber durchaus sein, dass sich die Zusammensetzung ändert. Ich schließe nicht aus, dass Griechenland oder zum Beispiel Italien die Euro-Zone verlässt und dafür Polen hinzukommt – was für die Stabilität unserer Währung ein Fortschritt sein könnte. Ich denke ohnehin, dass die Chancen des Euro, sich weltweit neben dem Dollar als „sicherer Hafen“ zu etablieren, heute größer sind, als noch vor zwei Jahren.

Sailer-Schuster: Die Währungsunion muss vor allem als Stabilitätsunion gefestigt werden. Wir brauchen Verbesserungen beim institutionellen Rahmenwerk der Währungsunion.

In welcher Form wirkt sich denn die Schuldenkrise auf den Finanzsektor und seine Kunden in Hamburg aus?

Olearius: Wer in Staatsanleihen der so genannten Peripherieländer wie Griechenland oder Spanien investiert hat, war natürlich betroffen. Aber generell hat sich Deutschland gut gehalten, auch wenn sich die Dämpfung der Konjunktur zum Beispiel in Frankreich, Spanien und Portugal natürlich auf unsere Wirtschaft auswirkt.

Brüggestrat: Für die Hamburger Volksbank kann ich sagen, dass wir von der Krise bisher nicht direkt beeinflusst werden, denn unsere Firmenkunden sind nach wie vor gut unterwegs. Ich mache mir aber Sorgen über eine längerfristige Wirkung: Durch die Geldpolitik der Notenbanken hat sich der Zins zumindest im Hinblick auf die Staatsanleihen vom tatsächlichen Risiko abgekoppelt. Dieser Bazillus könnte sich nach und nach auch in die Realwirtschaft hineinfressen.

Vogelsang: Ich sehe das, was sich schon seit dem Jahr 2008 an den Märkten abspielt, auch als eine allgemeine Wachstumskrise: Der unbedingte Zwang des „höher, schneller, weiter“, der bis dahin galt, wird in Frage gestellt. Was die Haspa angeht, werden wir zwar nicht unmittelbar von der Schuldenkrise beeinflusst. Aber die Niedrigzinsphase trifft unsere Kunden und damit auch uns.

Friedhelm Steinberg: An der Hamburger Börse bietet sich uns ein gemischtes Bild: Die Handelsumsätze in Bundesanleihen, die als Hort der Sicherheit in Europa gelten, sind explodiert. Allerdings verdienen wir an diesem Geschäft nicht so viel wie an den Aktienumsätzen, die wegen der Verunsicherung gerade bei den Privatanlegern relativ niedrig sind. Dabei ist die Aktie ein Sachwert, der vor dem Hintergrund möglicher inflationärer Tendenzen eine wichtige Funktion im Portfolio haben sollte. Aber die meisten Privatanleger fassen das offenbar nicht so auf.

Welche Auswirkungen haben denn die niedrigen Zinsen nach Ihrer Einschätzung konkret?

Olearius: Es wird den Menschen immer bewusster, dass wir unter Berücksichtigung der Inflationsrate eigentlich Negativzinsen haben, die Vermögen also real betrachtet schrumpfen. Auf längere Sicht wird die Altersarmut zunehmen.

Vogelsang: Ich finde es erschreckend, dass das in diesem Wahlkampf überhaupt kein Thema ist.

Constantin von Oesterreich: Es kommt immer darauf an, wen Sie fragen. Häuslebauer und andere Kreditnehmer freuen sich sicher über die niedrigen Zinsen. Allein der Bund spart in Summe zwischen 2010 und 2014 mehr als 40 Milliarden Euro an Zinsen für die Staatsverschuldung.

Vogelsang: Für Geld, das die Banken bei der Bundesbank parken, bekommt man keine Zinsen mehr. Und angesichts der Marktkonditionen müsste der Zins bei einigen unserer eigenen Anlageprodukte inzwischen unter null Prozent liegen. Das ließe sich bei den Kunden verständlicherweise nicht durchsetzen. Also sinkt unsere Zinsspanne. Insgesamt kann man festhalten, dass sich die Rahmenbedingungen auch für Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die die Finanzkrise ja nicht zu verantworten haben, deutlich verschlechtert haben.

Sind dadurch die Banken in Hamburg und die Jobs bei ihnen gefährdet?

Brüggestrat: Selbst wenn die Niedrigzinsphase anhält, wird die Hamburger Volksbank in fünf Jahren noch ihre dienende Funktion erfüllen. Sie würde aber anders aussehen – und auch der Bankenstandort Hamburg würde ein anderes Bild bieten. Es wären nicht mehr alle der heute vor Ort präsenten Institute da.

Olearius: Man sollte dies aber in einem etwas größeren Zusammenhang sehen. So hat etwa der Bankenstandort Düsseldorf schon bis jetzt sehr heftig gelitten: Die WestLB ist vom Markt verschwunden, die einstmals starke Mittelstandsfinanzierungsbank IKB ist zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken und das frühere Privatbankhaus Trinkaus & Burkhardt ist heute praktisch in den britischen HSBC-Konzern integriert.

Vogelsang: Tatsächlich gehört Hamburg zu den Bankenstandorten in Deutschland, die noch am wenigsten von der Krise betroffen sind. Noch immer ist eine größere Zahl von Privatbanken hier tätig. Und man darf nicht übersehen, dass keine Stützung von außen für den Standort nötig war. Selbst die Hilfen für die HSH Nordbank haben Hamburg und Schleswig-Holstein aus eigener Kraft gestemmt.

von Oesterreich: Inzwischen ist das mit der HSH Nordbank verbundene Risiko für die Haushalte der Länder deutlich gesunken. In der Spitze bürgten Hamburg und Kiel für Verbindlichkeiten der HSH Nordbank von 60 Milliarden Euro, aktuell sind es weniger als 30 Milliarden Euro. Und Ende 2015 wird der Betrag noch einmal substanziell gesunken sein. Das Geschäftsmodell der HSH als ‚Bank für Unternehmer‘ greift immer besser. Davon profitieren die Wirtschaft in der Region und natürlich auch die Länderhaushalte. Die HSH Nordbank ist für die Sicherung von Arbeitsplätzen im Norden enorm wichtig. Wir versorgen Unternehmen mit mehr als 40 Milliarden Euro Liquidität, der Großteil davon fließt in die Region. Manche Großbank ist an diesem Geschäft nicht übermäßig interessiert, weil es für sie in anderen Bereichen mehr zu verdienen gibt.

Steinberg: Eines hat sich hier am Standort aber schon sehr stark verändert: Hamburg war immer ein Zentrum der Schiffsfinanzierung. Dieses Geschäft ist kräftig geschrumpft. Die Commerzbank-Sparte in Hamburg vergibt beispielsweise keine neuen Kredite mehr.

Vogelsang: Aus meiner Sicht spielen alle Banken, die hier in Hamburg aktiv sind, eine wichtige Rolle – auch wir können nicht alles allein. Für eine Reihe von Großgeschäften braucht selbst die Haspa Groß- oder Landesbanken als Partner. Schon daher ist die Vielfalt in dieser Branche für uns wichtig.

Welche Veränderungen sehen Sie derzeit in der Banken- und Finanzszene?

Olearius: Die Struktur in unserer Belegschaft verändert sich. Die Relationen verschieben sich ungünstig aus der Marktbearbeitung in die Marktfolge, weil die Bürokratie wegen der Bankenregulierung immer mehr Kräfte für unproduktive Tätigkeiten bindet. Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, warum in der Branche die Beschäftigtenzahlen nicht so schnell sinken, wie dies zunächst befürchtet wurde.

Brüggestrat: Man hat den Eindruck, dass sich Politiker alle drei Monate ein neues Spielfeld für Regulierungsbestimmungen ausdenken. Dabei sind unsere Kunden mündige Bürger, denen man nicht in jedem Detail vorschreiben muss, wie sie mit uns ins Geschäft kommen können.

Vogelsang: Gefühlt hat sich die von Aufsichtsbehörden ausgehende Bürokratie seit Beginn der Finanzmarktkrise verzehnfacht. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich der Aufwand für uns tatsächlich verdoppelt oder verdreifacht hat. Ein nicht geringer Teil davon geht auf Vorgaben europäischer Institutionen zurück.

Steinberg: In der Finanzbranche stellt sich uns ohnehin die Frage, ob Deutschland in den internationalen Gremien wirklich gut vertreten ist und unsere Interessen und Besonderheiten dort berücksichtigt werden. Aus Sicht der Börse müssen wir feststellen, dass wir zwar immer stärker reguliert werden. Gleichzeitig machen so genannte „freie Plattformen“, über die Finanzinstitute weitgehend ohne Kontrolle Wertpapiere kaufen und verkaufen können, schon rund 50 Prozent des gesamten Handelsvolumens aus – mit Billigung durch die EU-Behörden.

Das Gespräch führten Lars Haider, Matthias Iken, Volker Mester und Oliver Schade

Den 2. Teil des Bankengipfels lesen Sie am Montag im Wirtschaftsteil