Der SPD-Kanzlerkandidat veröffentlicht auf seiner Homepage die Unterlagen des DDR-Geheimdienstes über ihn.

Berlin. Warum war Peer Steinbrück viele Jahre lang von verschiedenen Abteilungen des DDR-Geheimdienstes als Vorlauf-IM (Inoffizieller Mitarbeiter) mit dem Decknamen „Nelke“ erfasst? Die wenigen in der Stasiunterlagen-Behörde vorhandenen Papiere zu dem Vorgang, die der SPD-Kanzlerkandidat jetzt auf seiner Homepage veröffentlicht hat, bringen keine Erkenntnisse, mit denen diese Frage beantwortet werden könnte. Steinbrück schreibt im Begleittext zu den Unterlagen, dass weder die Stasi noch andere Geheimdienste je versucht hätten, Kontakt mit ihm aufzunehmen.

Diese Aussage steht im Kontrast zu seiner Erfassung in den sogenannten „Rosenholz“-Dateien. Dort ist er erstens mit seinem Klarnamen erfasst. Zweitens ist dieser Kartei mit gleicher Registriernummer die Decknamen-Kartei „Nelke“ zugeordnet. Auf der Decknamen-Kartei ist der Werdegang eines Vorlauf-IM in den Jahren 1980 bis 1986 dokumentiert, dessen Vorgang auch danach nie erkennbar geschlossen wurde. Laut Stasi-Aktenordnung wurden IM-Vorläufe zu Personen angelegt, „die als IM-Kandidat ausgewählt wurden und mit dem Ziel der Werbung bearbeitet werden“. Nach stasiinternen Richtlinien hätte ein Vorlauf nach neun Monaten geschlossen und archiviert werden müssen, wenn es nicht zu einer Zusammenarbeit gekommen ist. Nur in Ausnahmefällen konnte der Leiter der Diensteinheit eine Verlängerung der Laufzeit anordnen.

Auf der Vorlauf-IM-Karte „Nelke“, die im Mai 1980 angelegt wurde, ist keine Archivierung erkennbar. Im Gegenteil: Die Kartei wurde an immer höhere Instanzen bei der Stasi weitergegeben. So ist es auf der Karte verzeichnet, die aber als „Vorlauf“ gekennzeichnet blieb. Schließlich landete „Nelke“ 1984 bei den Chefs der Auslandsspionageabteilung der Stasi in Berlin, der „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA), genauer: in dem Referat, das für die Ausforschung und Unterwanderung der westdeutschen SPD zuständig war.

Die meisten jetzt veröffentlichten Papiere stammen aus einer Stasi-Abteilung im thüringischen Suhl, in der Steinbrück nur von Mai 1980 bis November 1981 erfasst war. Sie dokumentieren Steinbrücks Kontakte zur DDR-Verwandtschaft in Thüringen. Dorthin reiste er in den 70er- und 80er Jahren öfter. In Meiningen besuchte er seine Cousine und deren Mann, den die „Welt am Sonntag“ als Stasi-IM mit dem Decknamen „Richard König“ enttarnen konnte. Bei ihm handelt es sich um den DDR-Schauspieler Lutz Riemann. Laut den Stasi-Unterlagen berichtete Riemann auch über seinen West-Verwandten und gab offenbar Briefe Steinbrücks an den Geheimdienst weiter. Riemann und Steinbrück, der damals unter anderem Referent im Bundeskanzleramt war, haben laut den Akten über weltanschauliche Fragen diskutiert. So berichtete Riemann damals, dass sich Steinbrück als Marxist bezeichnet, dem DDR-System aber feindlich gegenüber gestanden habe. Der heutige Kanzlerkandidat schreibt dazu auf seiner Homepage, dass die „Denunziation, ich sei Marxist“, allenfalls für schlechtes politisches Kabarett taugen könnte.

Das Material, das man auf Peer Steinbrücks Homepage sehen kann, ist kein Beweis für eine mögliche Stasi-Verstrickung des Politikers. Weiter offen ist, warum Peer Steinbrück über viele Jahre als möglicher IM bei der Stasi erfasst und auf der ihm zuzuordnenden Decknamen-Kartei mehrere Vorgänge verzeichnet sind. Wichtige SPD-Politiker, die von der Stasi lediglich beobachtet wurden und dementsprechend bloß passiv erfasst waren, fanden üblicherweise nur Eingang in den Stasi-Objektvorgang „OV Harz“. Dort fehlt der Name von Steinbrück.