Göttingen. Die einen rutschen auf der Warteliste nach oben, die anderen nach unten in den Tod. Mit dieser Logik werden seit gut einem Jahr die Organspende-Skandale an deutschen Transplantationszentren gedeutet. Weil in Göttingen, Regensburg, München und Leipzig potenzielle Empfänger von Spenderlebern durch Manipulationen an Krankenakten künstlich „kränker“ gemacht wurden, bekamen sie Lebern – während andere, die vor ihnen auf den Listen hätten stehen müssen, leer ausgingen und starben.

In Göttingen beginnt vor dem Landgericht an diesem Montag der Prozess gegen Aiman O., 46, ehemals Oberarzt an der Göttinger Uni-Klinik. Er ist wegen versuchten Totschlags in elf Fällen angeklagt. Aiman O., seit Januar in Untersuchungshaft, soll zwischen 2009 und 2011 bei elf Patienten falsche Angaben an die Organ-Vergabestelle Eurotransplant gemeldet haben. Wahrheitswidrig soll er Dialysen bescheinigt und bei fünf Patienten eine Alkoholabstinenz behauptet haben. Dreimal habe er falsche Blutwerte angegeben. Dadurch, so die Staatsanwaltschaft Braunschweig, rückten die Patienten auf der Liste „so weit nach oben, dass ihnen innerhalb kürzester Zeit ein Spenderorgan zugewiesen wurde“. Zugleich sei „davon auszugehen, dass andere Patienten, die lebensbedrohlicher erkrankt waren, kein Spenderorgan erhielten und möglicherweise aus diesem Grund verstarben“. Dies habe O. „zumindest billigend in Kauf genommen“.

Zur Begründung verweist die Anklage auf das computergestützte System von Eurotransplant, mit dem die Wartelistenplätze elektronisch ermittelt werden. Wegen des Automatismus habe dem Arzt klar sein müssen, was seine falschen Angaben bedeuteten.

Daraus aber ergibt sich die Brisanz des Mammutprozesses – geplant sind über 40 Verhandlungstermine – für die Organspende-Debatte. Denn die Verteidigung kann auf juristische Zweifel am Automatismus verweisen. Viele Lebertransplantationen laufen nach dem „beschleunigten Verfahren“, wenn eine Leber schnell transplantiert werden soll. Hier gibt es Ermessensspielräume.