Kanzlerin fordert Lösung in Mainz. Parteien streiten über Schuld

Mainz. Die Bahn kann das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof trotz des großen Drucks nicht sofort ganz stoppen, verspricht aber Linderung. Die Bahntochter DB Netz kündigte nach einem Krisengipfel Verbesserungen ab der nächsten Woche an. Ab 30. August wolle die Bahn wieder zum normalen Betrieb zurückkehren, falls nicht weitere Fahrdienstleiter krank würden, sagte DB-Netz-Chef Frank Sennhenn in Mainz. Ins Mainzer Stellwerk sollen im September vier Fahrdienstleiter-Helfer zusätzlich kommen, von November bis Dezember fünf weitere neue Dienstleiter, kündigte der DB-Netz-Chef an. Das Ziel sei auch, die Unterstützung zwischen Stellwerken zu erleichtern, um krisenfester zu sein.

In der politischen Debatte nimmt der Druck auf den Bund zu, der Eigentümer der Bahn ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte das Unternehmen dazu auf, eine ausreichende Personalstärke sicherzustellen. „Es geht jetzt erst mal darum, dass ausgebildetes Personal da ist und dass man daran arbeitet, diese Personaldecke so auszustatten, dass auch in Krankheits- und Urlaubsfällen nicht jedes Mal Tausende von Menschen leiden müssen“, sagte Merkel in der Sendung „Forum Politik“ des TV-Senders Phoenix und des Deutschlandfunks. Sie sei sehr froh, „dass die Bahn sich mit aller Ernsthaftigkeit der Sache angenommen hat“. Die Beeinträchtigungen in Mainz seien ein „sehr ernstes Problem“, so die Kanzlerin. „Die Bahn ist für viele Menschen lebenswichtig für die Ausübung ihres Berufs.“ Die Eisenbahngewerkschaft EVG hat einen radikalen Kurswechsel in der Personalpolitik der Bahn gefordert. Es sei nötig, die Personalplanung „in allen Bereichen und allen Betrieben neu aufzusetzen“, sagte EVG-Chef Alexander Kirchner. Bahnchef Rüdiger Grube machte die Personalprobleme zur Chefsache und hat am Mittwoch mit dem Vorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft in Frankfurt darüber gesprochen. Der Konzernbetriebsrat der Bahn forderte, dass die personellen Engpässe schnellstmöglich beseitigt werden müssten. „Die Personaldecke im Konzern ist in einigen Geschäftsbereichen sehr dünn“, teilte Vizechefin Heike Moll mit.

Die Gewerkschaft kritisierte Grube, weil er Stellwerksmitarbeiter in deren Urlaub angerufen hatte. „Dass Mitarbeiter, die dringend Urlaub brauchen, vom obersten Konzernlenker persönlich angerufen werden, halte ich für ein Ding der Unmöglichkeit“, sagte Kirchner. Grube selbst hatte seinen Urlaub abgebrochen, um eine Lösung für die Personalengpässe am Mainzer Hauptbahnhof zu finden. Die Bahn verteidigte die Telefonaktion. „Im Interesse unserer Kunden, des Unternehmens und aller unserer über 300.000 Mitarbeiter hat er eine Handvoll Kollegen in Mainz angerufen und sie darum gebeten, sich zu überlegen, ob sie nicht ihren Urlaub verschieben könnten“, sagte Konzernsprecher Oliver Schumacher. „Ausdrücklich sollten sie eine Nacht darüber schlafen.“

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) wies Vorwürfe einer Mitschuld an Problemen bei der Bahn zurück. „Die christlich-liberale Bundesregierung hat die Scherben aufgekehrt“, sagte er. Der damalige Bundesfinanzminister und heutige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sowie Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) hätten früher eine Privatisierung des Konzerns vorangetrieben. Dabei sei Personal „sträflich heruntergefahren“ worden. Seit 2010 würden Mitarbeiterzahlen und Investitionen wieder erhöht.

Steinbrück kritisierte die Personalpolitik der Deutschen Bahn: „Hier wurde offenbar falsch gespart. Das rächt sich jetzt“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. SPD-Bundestagsfraktionsvize Florian Pronold warf der Regierung eine Mitverantwortung vor. Die SPD beantragte eine Sondersitzung des Bundestags-Verkehrsausschusses für diesen Freitag.

Die bundesweiten Probleme in Bahnstellwerken sind größer als bisher angenommen. Bisher gehe es um Beeinträchtigungen in Brandis-Beucha (Kreis Leipzig), Bebra, Berlin-Halensee, Berlin-Tempelhof, Lahnstein-Friedrichssegen (Rheinland-Pfalz), Mainz, Niederarnbach (Bayern), Zwickau (Sachsen), sagte der für Bahnfragen zuständige Sprecher der Bundesnetzagentur, René Henn. Bei der Deutschen Bahn AG fehlen nach Ansicht der Gewerkschaft GDL auch mindestens 800 Lokführer. Man werde im nächsten Tarifvertrag mit dem Unternehmen eine verbindliche Personalplanung vereinbaren, kündigte der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer Claus Weselsky an.