Der SPD-Vorsitzende muss sich gegen mächtige Parteifreunde wappnen, die ihm misstrauen

Berlin. Wir sollten uns alle darauf konzentrieren, die Wahl zu gewinnen“, befand Andrea Nahles am Montagmittag im Willy-Brandt-Haus. Der Wahlkampf erfordere Kraft und Energie, und „die Schlacht ist nicht geschlagen“. Hinter diesen wenig überraschenden Worten der SPD-Generalsekretärin verbirgt sich ein Appell an die eigenen Leute, oder um mit Peer Steinbrück zu sprechen: ein „Weckruf“. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl nämlich wird wieder einmal offenbar, dass sich führende Köpfe innerhalb der SPD schon jetzt mit der Lage nach dem 22. September befassen – unter besonderer Berücksichtigung ihres eigenen politischen Werdegangs.

Anders ist die Absicht des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel nicht zu erklären, unmittelbar nach der Wahl einen sogenannten Kleinen Parteitag einzuberufen. Wozu aber bedarf es eines Parteikonvents mit seinen rund 200 Funktionären, der keine personellen Entscheidungen treffen kann, wo sich doch die Parteigremien ohnehin nach der Wahl beraten? Gabriel wolle hier die Weichen stellen für einen Mitgliederentscheid gegen eine große Koalition, hatte der „Spiegel“ berichtet. Der Parteichef, ausgestattet mit einem Bauchgefühl für die Befindlichkeiten der eigenen Leute, greift damit eine Diskussion auf, die hinter geschlossenen Türen längst geführt wird. Selbst Landesvorsitzende der SPD sinnieren über einen Mitgliederentscheid. Gerade solch einflussreiche Parteifreunde, die ihren Delegierten dieses oder jenes raten können, will Gabriel um sich scharen und für sich – und seine Wiederwahl – gewinnen.

Womöglich ist das nötig. Etliche führende Köpfe in der SPD halten Gabriel für politisch unzuverlässig und charakterlich unstet. Zu diesen Kritikern zählen zumindest zwei seiner fünf Stellvertreter, nämlich NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. Nahles und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier leiden seit Jahren unter Gabriels Launen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ist dem Parteichef in gegenseitiger Abneigung verbunden. Sollte sich diese mächtige Gruppe gegen Gabriel verbünden und gar auf einen Nachfolger verständigen, käme der Parteichef arg in Bedrängnis.

Den von Gabriel geplanten Parteikonvent verteidigte Nahles offensiv, vielleicht ein wenig zu offensiv. Jener Kleine Parteitag sei eine sehr gute Möglichkeit, die Mitglieder zu beteiligen. Es könne darum gehen „Koalitionen auszuloten“, aber: „Der Parteikonvent hat nicht die Tagesordnung ,Abstimmung über eine große Koalition‘.“ Man strebe Rot-Grün an, und halte dies „immer noch für wahrscheinlich“.

Der Termin des Parteikonventes wird noch offengelassen. Er tagt entweder am Dienstagnachmittag oder erst am Freitag nach der Wahl. Zuvor, am Dienstagmittag, tritt die Fraktion zusammen. Steinmeiers Machtbewusstsein wird zwischen diplomatischer Sprache und westfälischer Zurückhaltung zuweilen unterschätzt. Vor vier Jahren ließ sich der gescheiterte Kanzlerkandidat am Dienstag nach der Wahl an die Spitze der Fraktion wählen. Seine Kandidatur hatte er bereits am frühen Wahlsonntagabend angekündigt. So schuf er Fakten. Sigmar Gabriel hat sich diesen Umstand gut gemerkt.