Berlin und Washington wollen Geheimdienstarbeit vertraglich regeln. Koalition lehnt sofortige Aussage Steinmeiers in Untersuchungsausschuss ab

Berlin. Als Konsequenz aus der NSA-Spähaffäre wollen Deutschland und die USA ein bislang beispielloses Anti-Spionage-Abkommen abschließen. Damit soll zwischen beiden Ländern gegenseitiges Ausspionieren etwa auch in der Wirtschaft ausgeschlossen werden, kündigte der für die Geheimdienste zuständige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) am Montag nach einer Sitzung des Bundestagsgremiums zur Kontrolle der Dienste in Berlin an. Die Geheimdienste der USA und Großbritanniens hätten inzwischen auch schriftlich versichert, sich an Recht und Gesetz in Deutschland zu halten.

Erste Kontakte zwischen dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) zu dem Anti-Spionage-Abkommen hätten bereits stattgefunden, sagte Pofalla. Die US-Behörden hätten das Angebot eines „No-Spy-Abkommens“ nicht gemacht, „wenn ihre Aussage, sich an Recht und Gesetz zu halten, nicht stimmte“. Eine solche Vereinbarung sei eine einmalige Chance, Standards für die künftige Arbeit der westlichen Geheimdienste zu setzen. Verhandlungen sollten noch in diesem Monat beginnen.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Thomas Oppermann (SPD), nannte das Angebot der US-Behörden „das gesichtswahrende Zugeständnis“, dass Ausspähungen in Deutschland oder Europa durch die USA stattgefunden hätten. Es müsse nun auf Regierungsebene und nicht wie geplant von den Präsidenten der Geheimdienste ausgehandelt werden. Den Vorwurf, vom BND an die NSA weitergegebene Daten würden illegal zu tödlichen US-Drohnenangriffen gegen Terrorverdächtige genutzt, wollte der SPD-Politiker nicht erheben. „Ich kann nicht erkennen, dass der BND solche Informationen weitergibt.“ Das Gremiumsmitglied der Grünen, Hans-Christian Ströbele, bezweifelte weiterhin, dass die Daten nicht zu tödlichen Drohneneinsätzen gebraucht werden könnten.

Pofalla sagte, durch die Übermittlung von Daten der BND-Auslandsaufklärung an die NSA würden pro Woche drei bis vier Anschläge auf Truppen in Afghanistan abgewendet. Seit Januar 2011 seien insgesamt 19 Anschläge auf deutsche Soldaten in Afghanistan verhindert worden. Die Grundsatzentscheidung der damaligen rot-grünen Regierung zur Zusammenarbeit von BND und NSA stamme vom 24. Juli 2001 – das war noch vor den Anschlägen in den USA vom 11. September. Dies gehe zweifelsfrei aus den Akten des Kanzleramts und des BND hervor.

Die Koalition hatte zuvor SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier einen raschen Auftritt vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium verweigert und ihm damit die Möglichkeit genommen, sich dort gegen Vorwürfe in der NSA-Affäre zu verteidigen. Union und FDP lehnten eine Aussage Steinmeiers bei der Sondersitzung am Montag ab, da die Vorbereitungszeit für seine Befragung fehle. Steinmeier hatte überraschend seinen sofortigen Auftritt angeboten. Nach dem Beschluss des Gremiums zeigte er sich empört. „Das finde ich ungeheuerlich“, erklärte der frühere Kanzleramtschef. „Die Tatsache, dass das abgelehnt wird, zeigt mir, dass es der Merkel-Regierung keineswegs um die Aufklärung von Vorwürfen geht.“ Steinmeier kritisierte, seit Tagen erweckten Union und FDP mit „Lügen und Vertuschungen“ den Eindruck, dass seine Aussage vor dem Ausschuss unausweichlich sei. Sie gaukelten der Öffentlichkeit vor, dass die flächendeckende und lückenlose Kontrolle durch ausländische Geheimdienste mit Entscheidungen der rot-grünen Bundesregierung zu tun habe.

Das Gegenteil sei der Fall: Mit der Entscheidung von 2002 über die Geheimdienst-Zusammenarbeit sei das Abhören in Deutschland nicht ausgedehnt, sondern eingeschränkt worden, da der US-Lauschposten im bayerischen Bad Aibling erstmals überhaupt deutschem Recht unterstellt worden sei. Steinmeier sagte, mit den Vorwürfen gegen ihn versuche die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel nur, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die wahren Fragen der Abschöpfung von Daten durch den US-Geheimdienst NSA in Deutschland seien alle noch offen. „Statt den Suchscheinwerfer einzuschalten, werden von der Merkel-Regierung Nebelkerzen geworfen“, sagte Steinmeier. Er sei weiter bereit zu einem Auftritt im Kontrollgremium. Wenn es dazu nun jedoch mit zeitlichem Vorlauf doch noch kommen sollte, gehe er davon aus, dass sich auch Merkel und der frühere Kanzleramtschef Thomas de Maizière sich den Fragen des Ausschusses stellten.

Damit könnte es wie bereits im Untersuchungsausschuss zur „Euro Hawk“-Drohnenaffäre zu einem Patt kommen: Damals hatte die Union den SPD-Kanzlerkandidaten und früheren Finanzminister Peer Steinbrück laden wollen, die SPD hatte dies jedoch mit der Forderung nach einem Auftritt Merkels gekontert. Am Ende blieb beiden die Aussage erspart, da ihre Parteien im Wahlkampf kein Interesse an negativen Schlagzeilen hatten.

Steinmeier war vergangene Woche ins Visier der Koalitionsparteien geraten, nachdem die Bundesregierung erklärt hatte, in seiner Zeit als Kanzleramtschef sei 2002 ein Abkommen zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen BND und NSA geschlossen worden. Die SPD hatte daraufhin überraschend vorgeschlagen, Steinmeier schon am Montag anzuhören. Der SPD-Fraktionschef wirft der Bundesregierung vor, mit ihren Vorhaltungen lediglich von eigenem Versagen ablenken zu wollen. Er argumentiert, bei der Vereinbarung sei es um die Aufklärung der Anschläge vom 11. September 2001 gegangen und nicht um das flächendeckende Ausspähen der deutschen Bevölkerung.