Guido Westerwelle ist wieder in Nahost – Ein Zwischenruf von Henryk M. Broder

Jerusalem. Zum zweiten Mal in diesem Jahr besucht der deutsche Außenminister, Guido Westerwelle, Israel. Warum? Um alte Freunde zu treffen? Um neue Kontakte zu knüpfen? Um Premier Netanjahu, der soeben operiert wurde, eine rasche Genesung zu wünschen? Dafür müsste er sich nicht persönlich auf den Weg machen. Die deutsche Post bietet noch immer Telegramme als „unvergessliche Nachricht für den besonderen Anlass“ an. Man kann das Telegramm online aufgeben, muss also nicht zum Postamt laufen und vor dem Schalter Schlange stehen. Denn inzwischen kann man beinah alles online erledigen: Bücher, Brillen, CDs, Kleider, Schuhe kaufen, eine Wohnung für die Ferien oder einen Partner fürs Leben finden, eine Reise in die Arktis buchen oder den Sonnenaufgang auf Tuvalu live erleben.

Es gibt nur einen Bereich des öffentlichen Lebens, an dem die digitale Revolution spurlos vorübergegangen ist: Der Auswärtige Dienst. Der funktioniert noch immer so wie zur Zeit des Wiener Kongresses vor 200 Jahren. Diplomaten und Politiker reisen durch die Welt und treffen sich zu Gesprächen mit anderen Politikern und Diplomaten. Und egal, wen sie getroffen und worüber sie geredet haben, sie kommen immer mit guten Nachrichten zurück. Die Gespräche hätten in einer „freundschaftlichen und offenen Atmosphäre“ stattgefunden, man habe vereinbart, „den Gedankenaustausch sehr bald fortzusetzen“. Hat man schon mal einen Außenminister oder einer seiner Mitarbeiter sagen hören: „Ich habe nichts erreicht. Man hat mich abblitzen lassen. Und auch das Essen war unter aller Sau.“

Warum also kommt der deutsche Außenminister Guido Westerwelle zum zweiten Mal in diesem Jahr nach Israel? Nun, es geht wie immer um die besonderen deutsch-israelischen Beziehungen, um den Friedensprozess in Nahost und die deutsche Angst, tatenlos zuschauen zu müssen, wie Geschichte geschrieben wird. Und das hört sich am Ende dann so an: Man wolle unsere guten und konstruktiven Möglichkeiten nutzen, um die Verhandlungen zu gestalten; es läge im Interesse der Palästinenser und der Israelis, den Nahost-Konflikt, diese Mutter vieler Schwierigkeiten, in einen Prozess zu führen, dessen Ende zwar nicht absehbar sei, der aber geführt werden müsse. Dabei habe, trotz der jüngsten EU-Beschlüsse, kein Politikwechsel gegenüber Israel stattgefunden; man müsse darüber nachdenken, wie man eine Brücke der Vernunft zwischen Europa und Israel bauen könne; das sei keine große Zauberkunst, wenn man alle Fragen praktisch und pragmatisch angehe.

Vor drei Monaten sei das Fenster zum Frieden noch geschlossen gewesen, jetzt sei ein kleiner Spalt offen; das Wichtigste sei, die Energien konstruktiv zu kanalisieren, mehr könne man derzeit nicht erreichen; dazu seien aber Vertrauen bildende Gesten nötig, die über das Zugesagte hinausgehen; etwas nicht zu versuchen, das Gestalterische aufzugeben, sei keine Option – die Dinge einfach laufen zu lassen, auch nicht.

Wie die eben angelaufenen Verhandlungen zwischen den Israelis und den Palästinensern verlaufen werden, kann niemand vorhersagen. Auch Westerwelle weiß es nicht. Der Besuch bei Mahmud Abbas am Montagmittag dauert eine halbe Stunde. Danach bleiben der deutsche Außenminister und der palästinensische Präsident unter sich. Worüber sie geredet haben? Vermutlich über den Friedensprozess. Möglicherweise auch über die Bundesliga oder die Frage, ob Mercedes oder BMW die besseren Autos baut. Das ist ja das Tolle an der Diplomatie: Sie findet vor aller Augen statt, aber keiner weiß wirklich, was auf und hinter der Bühne passiert.

Nach dem Termin bei Abbas stellt sich der Außenminister den Journalisten im Garten der deutschen Vertretung in Ramallah. Was er ihnen zu sagen hat, ist ebenso global-konkret wie das, was er am Abend zuvor im Oriental Room des „King David Hotels“ in Jerusalem bei einem vertraulichen Hintergrundgespräch gesagt hat – nur dass man ihn diesmal wörtlich zitieren darf. Westerwelle habe „auf beiden Seiten den aufrichtigen Willen gespürt, dass die Verhandlungen aufgenommen werden“. Von deutscher Seite aus wolle man „diesen Willen verstärken“. „Unsere Aufgabe ist es, die Gesprächsbereiten auf beiden Seiten zu unterstützen.“ Denn: „Der Frieden in dieser Region liegt auch im deutschen und europäischen Interesse.“ Deswegen werde man sich dafür einsetzen, „dass diese Gespräche nicht nur erfolgreich beginnen, sondern auch erfolgreich zu Ende geführt werden“.

Dann geht’s zum nächsten Termin beim amtierenden palästinensischen Präsidenten Rami Hamdallah. Vorher aber bittet eine Mitarbeiterin der Vertretung die Journalisten darum, die kleinen Pins mit der deutschen und der israelischen Fahne abzunehmen, die man ihnen vor der Reise gegeben hat. Die deutsch-israelische Freundschaft ist ein wertvolles Gut. Aber man muss es mit ihr nicht übertreiben.