SPD-Kanzlerkandidat eröffnet in Hamburg heiße Phase des Wahlkampfs – und rechnet mit Schwarz-Gelb ab

Hamburg. Locker geht Peer Steinbrück auf und ab, meist eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen weit ausholend auf einen imaginären Punkt zeigend: Der Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist an diesem sonnigen Abend auf der Wiese unterhalb des Michel Kandidat Lässig. Der Sozialdemokrat präsentiert sich selbstbewusst, mal ironisch, mal sarkastisch – spielt auf eigene Fehler an und setzt seine bekannt-bissigen Pointen. Aber Steinbrück ackert nicht, reibt sich nicht auf mit überschlagender Stimme. Wenn es nicht völlig anders wäre, könnte man auf den Gedanken kommen, Steinbrück und die SPD lägen in den Umfragen weit vor Merkel und der Union.

Knapp 1000 Menschen dürften es sein, die zum bundesweiten Wahlkampfstart der SPD in die heiße Phase vor der Bundestagswahl auf die Grünfläche zwischen Michel und Elbe gekommen sind. Die SPD will modern und dialogorientiert sein: Ein großes, helles Zeltdach mit einem Durchmesser von 22 Metern beherrscht die Szene, darunter eine kleine Bühne, um die die Zuschauer rundherum sitzen. Wie im Zirkus. „Das Wir entscheidet“ lautet der Kampagnenslogan. Aber erst einmal redet einer: Steinbrück.

„Es hat schon etwas Berührendes, als Sohn der Stadt hier im Schatten des Michel sprechen zu dürfen“, beginnt er und erzählt gleich eine Anekdote. Sein Vater habe einen kleinen Beitrag zum Aufbau der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet. „Er hat mir ein kleines Stück vom alten Kupferdach des Michel hinterlassen“, sagt Steinbrück und vergisst nicht zu erwähnen, dass hier, ganz in der Nähe, ein kleiner Laden „mit den besten Schiffsmodellen, die man in Deutschland kaufen kann“, existiert. Für das nötige Lokalkolorit und die Heimatbindung ist gesorgt.

Es dauert nicht lange, bis der Kandidat auf Wahlkampf-Betriebstemperatur kommt. Er sei eben einer, der „nicht nur in der Furche liegt“. Da könne es schon mal sein, dass er provoziere. „Aber die Menschen wissen, woran sie bei mir sind. Wissen sie das bei Frau Merkel?“, fragt Steinbrück eher rhetorisch und erntet Beifall.

Von da ist es nur ein kleiner Schritt zur Generalabrechnung mit der schwarz-gelben Bundesregierung. „Das ist die zerstrittenste, tatenloseste und schlechteste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“, urteilt der Kandidat schmissig. „Noch 45 Tage, und wir können die Bundesregierung abwählen und mit mir als Kanzler neu starten. Darum geht es.“ Doch das reicht Steinbrück nicht. „Noch 45 Tage und wir sind die los“, setzt er in für ihn typisch-schnodderiger Weise nach.

Der SPD-Kandidat zählt die Versäumnisse, nicht gehaltenen Versprechungen und Fehler von Schwarz-Gelb auf – von den ausgebliebenen Steuersenkungen und dem fehlenden Pflege- und Rentenkonzept bis hin zur Energiewende und dem „dämlichen Betreuungsgeld“. Die Bundesregierung stehe für Stillstand. „Merkel regiert das Land unter Wert“, lautet sein Urteil.

Dann kommt der Finanzpolitiker Steinbrück zu Wort. „CDU/CSU können nicht mit Geld umgehen. Wenn die in der Wüste regieren, wird der Sand knapp.“ Solche Sprüche kommen an. Er bleibt noch ein bisschen bei den leeren Versprechungen der Bundesregierung, das Thema eignet sich für griffige Bilder. Mal sind es schöne Schachteln ohne Inhalt, dann Flaschen. „Aber wenn man nachsieht, ist da gar kein Wein drin. Nee, über Weinsorten sage ich öffentlich nichts mehr“, setzt er hinterher und spielt damit unter dem Gelächter seiner Zuschauer auf einen seiner größten Fauxpas an. Er hatte einmal gesagt, dass er einen italienischen Pinot Grigio unter fünf Euro pro Flasche nicht trinken würde.

Steinbrück schenkt dem politischen Gegner nichts. Und als er die weiblichen Mitglieder seines Schattenkabinetts vorstellt, nutzt er dies auch zur Verbalattacke. Gegen Gesche Joost, die in seinem Team für Internet und Netzpolitik zuständig ist, sei Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) „ein digitaler Zwerg“.

An der Europapolitik von Merkel lässt Steinbrück kein gutes Haar. „Es reicht nicht, den anderen Ländern die Keule vom Sparen, Sparen, Sparen über den Kopf zu ziehen“, so der Sozialdemokrat. „Da werden die ohnmächtig. Die sollen doch wieder laufen lernen.“ Er fordert ein Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit und eine Reglementierung des Bankenwesens.

Und dann stellt Steinbrück sein Sofortprogramm vor, sollte er ins Kanzleramt einziehen. „Wir schaffen einen gesetzlichen Mindestlohn, und wir führen eine Mietpreisbremse ein“, sagt der Kandidat unter anderem. „Sie alle haben es am 22. September in der Hand, ob es weiter vor sich hin plätschert oder ob es spannend zugeht in diesem Land. Wir können es schaffen“, sagt Steinbrück am Ende seiner 45-minütigen Rede. Der Beifall ist freundlich und andauernd, aber nicht euphorisch.

Dann übernimmt einer, der schon zu Beginn die Hamburger Bundestagskandidaten vorgestellt hatte: Bürgermeister Olaf Scholz in einer neuen Rolle als Moderator und Interviewer.