Prozess zu den Morden des rechtsextremen NSU-Trios geht in die Sommerpause. Die entscheidenden Fragen sind noch offen. Eine Zwischenbilanz

München. Da sind sie wieder, die beiden Radfahrer. Kurz vor der Sommerpause im NSU-Prozess radeln die zwei jungen Männer wie Gespenster noch einmal mitten durchs Geschehen. Am 32. Verhandlungstag am Oberlandesgericht gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer kommt auf den Tisch: Mehrere Zeugen haben zwei Männer auf Rädern gesehen, beschrieben, sogar fast angesprochen, kurz bevor oder nachdem ein türkischstämmiger Bürger erschossen wurde. Dieses Mal, es geht um den 9. Juni 2005, verlor der Nürnberger Imbissbudenbetreiber Ismail Yasar sein Leben durch Kopfschüsse. Aber auch schon bei zwei Morden zuvor und ebenso beim Nagelbombenanschlag in Köln hatten Passanten zwei junge Männer auf Rädern registriert. Es muss sich um Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gehandelt haben, die mittlerweile toten Mitgründer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Doch nachdrücklich genug gefahndet wurde nicht nach ihnen.

Ermittlerversagen oder blind auf dem rechten Auge? Es ist diese Frage, die schwer auf dem gesamten Prozess lastet und ihn so außergewöhnlich, aber auch so aufschlussreich macht, was die Befindlichkeit der deutschen Gesellschaft angeht. Tatsächlich gibt es einen beklemmenden Eindruck, der nicht ganz neu ist, mit dem aber der größte Rechtsterror-Prozess der deutschen Nachkriegsgeschichte in eine lange Urlaubspause geht. Die Ermittler müssen sehr oft sehr nah dran gewesen sein an den mutmaßlichen Serienkillern des NSU, und doch haben sie diese immer wieder durchs Netz gehen lassen.

Am 5. September geht es weiter beim Prozess, aber wohl mit neuem Esprit. Denn dann legt auch der Untersuchungsausschuss des Bundestags seinen 2500 Seiten langen Bericht vor. Alle Parteien, inklusive CSU und Linkspartei, hatten ihn gemeinsam ins Leben gerufen und dann akribisch, sachorientiert und überparteilich die Fehler bei der Aufdeckung der Terrorzelle herausgearbeitet. Der Bericht zeigt, wie überfordert, ineffizient und tatsächlich auch vorurteilsbelastet die deutsche Sicherheitsarchitektur ist. Er deutet aber auch an, dass sich zahlreiche unterschiedliche Ansprüche gar nicht vereinbaren lassen: Nachrichtendienste sollen die Privatsphäre achten, aber über alles, was wichtig ist, Bescheid wissen. Sie sollen nicht Teil der rechtsextremen Szene sein, aber so nah dran, als gehörten sie dazu. Sie sollen Daten erst gar nicht erheben oder zumindest schnellstmöglich löschen – aber zur Hand haben, wenn sie wichtig sind. Mit diesen Widersprüchen und Problemen wird die Bundesrepublik noch über Jahre beschäftigt sein.

In München geht es bei Bruthitze an diesem 32. Tag des Mammutprozesses aber erst einmal um eine erste zaghafte Bewertung dessen, was sich seit Mai in Saal A 101 im Justizzentrum abgespielt hat. Ist die Anklage, die Bundesanwaltschaft, ihrem Ziel näher gekommen, Beate Zschäpe nicht nur der klassischen Beihilfe zu überführen, sondern der Mittäterschaft an zehn Morden? Oder konnte das Verteidigertrio aus Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm für seine stumme Mandantin punkten? Gelobt wird allenthalben die Prozessführung von Richter Manfred Götzl, der zunächst für einen holprigen Start gesorgt hatte. Zwar rächt sich der Fauxpas, im ersten Anlauf keine ausländischen Journalisten akkreditiert zu haben, selbst heute noch. Denn der Prozessstart musste bekanntlich um drei Wochen verschoben werden, mit der Folge, dass die Zeugenliste völlig durcheinandergeriet. All das hat Götzl mit einer bewundernswerten Konzentration und Akribie im Griff. „Götzl ist ein Ausbund an Gründlichkeit“, meint Stefan Hachmeister, Verteidiger des Mitangeklagten Holger G.

Die Anklageseite wiederum ist erfreut, wie gut Götzl die vielen verschiedenen Interessen im Saal zu moderieren versteht. „Das Klima ist insgesamt nicht konfrontativ“, lobt Bundesanwalt Herbert Diemer.

Er und seine drei Kollegen haben Beate Zschäpe als Mittäterin an allen Anschlägen des NSU angeklagt. Sie soll für die legale Fassade des Trios gesorgt haben, aber trotz aller Mühe wurden keine Hinweise auf eine konkrete Beteiligung an einzelnen Taten gefunden. Der Mitangeklagte Holger G., der im Ermittlungsverfahren einiges über Zschäpes Rolle in der Gruppe gesagt hatte, las vor Gericht nur eine Erklärung vor. Dabei blieb er ein gutes Stück hinter dem zurück, was er in den Vernehmungen zuvor gesagt hatte.

Die Verurteilung wegen Mordes steht und fällt mit der Frage, ob der Richter genug Beweise für eine Mittäterschaft zu sehen glaubt. Zschäpe als Heimchen am Herd zu verkaufen, als Frau, die arglos zwei Männer versorgte, ohne zu wissen, was sie alles Böses treiben, dürfte den Verteidigern aber schwer fallen. Im Gerichtssaal wirkt Zschäpe alles andere als schüchtern oder leicht manipulierbar. Der Anwalt Jens Rabe: „Sie tritt überhaupt nicht blass oder unscheinbar auf. Sie versteckt sich nicht, zieht sich keine Kapuze über den Kopf. Im Gegenteil: Sie marschiert stramm rein in den Saal, zeigt ihr volles Gesicht, dreht sich dann vor den Kameras um. Das ist eine klare Ansage: Leckt mich am Arsch, ihr könnt mich alle mal!“