Zuerst werden normale Bürger gezeigt, später die Kanzlerin

Berlin. Wahlplakate gibt es in allen Demokratien, so wichtig wie in Deutschland sind sie nirgendwo. Das liegt an einer Besonderheit unseres Mediensystems: Da Fernsehwerbung nur sehr eingeschränkt zugelassen ist, Onlinewerbung aber noch nicht die ganze Bevölkerung erreicht, entsteht echte werbliche Massenpräsenz auch im Jahr 2013 tatsächlich nur auf der Straße Die Präsentation der Plakate ist daher traditionell der eigentliche Wahlkampfauftakt, der entsprechend medial inszeniert wird. Aber nicht so in diesem Wahlkampf, nicht bei der CDU. Generalsekretär Hermann Gröhe wählte den letztmöglichen sinnvollen Termin, um seine Kampagne vorzustellen. Die CDU, die sich schon als letzte aller Parteien ein Wahlprogramm gab und darum das wenigste Tamtam veranstaltet, präsentiert auch ihre Werbung zuletzt und wie beiläufig. Auf Innovationen wird dabei weitgehend verzichtet.

Innovationen gibt es nämlich bei der Konkurrenz, der SPD. Erste Innovation: „Negative campaigning“, also das gezielte Schlechtmachen des politischen Gegners. Funktioniert in Deutschland nicht, lautet eine alte Wahlkämpfer-Weisheit. Die SPD präsentierte Anti-Merkel-Plakate. Ergebnis: Hohn und Spott. Sogar CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe konterte am Montag die Frage, welches CDU-Plakat die SPD nicht auch hängen könnte, hämisch: „Früher hätte ich gesagt, das mit Angela Merkel. Aber selbst darauf kann man sich bei der SPD nicht mehr verlassen.“

Zweite SPD-Innovation: Auf den Plakaten sind Menschen zu sehen, die es wirklich gibt. Die Gebäudereiniger neben der Mindestlohnforderung sind also wirklich Gebäudereiniger und die Alleinerziehende Mutter, die für ihr farbiges Baby einen Kitaplatz will, ist tatsächlich alleinerziehend. Das konnte nicht klappen. Traurig und depressiv gucken die wirklichen Leute, mäkeln die Medien. Die CDU hingegen respektiert die alte Theater-Weisheit, dass das vermeintlich Authentische besonders gut gespielt werden muss. Die glücklichen Omas, aufmerksamen Meister und liebevollen Väter auf ihren Plakaten sind bezahlte Darsteller. Die dritte SPD-Innovation, eine besonders ökologische Version der Plakate, hielt deutschen Wetterverhältnissen nicht stand und musste zurückgerufen werden. Gröhe hingegen verklebt seine 8200 großen und 300.000 kleinen Plakate mit einem Kleber, der alt ist, aber hält.

Während die SPD auf den Plakaten sich ganz auf ihre Kernzielgruppen (Arbeiter, arme Rentner) stürzt, zielt die CDU auf mittige, moderne Wähler, die ihr nicht sowieso schon gewogen sind. So tragen etwa zwei von drei der abgebildeten Männer Dreitagebart – ein Merkmal, das für Lässigkeit steht. Eine Auszubildende im Autowerk ist eine junge Frau. Bei jungen Frauen und hedonistisch orientierten Wählergruppen schneidet die CDU bisher unterdurchschnittlich ab. Der mutigste Übergriff auf eine bisher fremde Klientel wird nur im Text gewagt. „Jede Familie ist anders. Und uns besonders wichtig“, schreibt die CDU und klingt dabei fast wie Grüne, Linke, Piraten oder SPD, die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften propagieren. Das Bild zeigt allerdings nicht nur einen Vater, der mit seiner Tochter Pfannkuchen backt, sondern – im Hintergrund, verschwommen – auch noch eine Mutter, die Kaffee kocht.

Die anderen drei Plakate, die Wirtschaft und Finanzen thematisieren, sind in der Optik von Versicherungswerbung fotografiert. Der „Claim“ der Kampagne „gemeinsam erfolgreich“ klammert zwei Botschaften und ist damit näher an dem legendären „Innovation und Gerechtigkeit“ aus dem ersten Schröder/Lafontaine Wahlkampf als die aktuelle SPD-Parole: „Wir.“

Fazit der ersten Plakatwelle: Die CDU wirkt mittiger und professioneller als die SPD. Das dürfte die Genossen schmerzen, gelten sie doch seit dem Wahlsieg von 2002 und der beinahe geglückten Aufholjagd 2005 als die kampagnenfähigere der Volksparteien. Was den Sozialdemokraten aber sehr wehtut: Dahinter steckt einer, der einmal einer von ihnen war. Lutz Meyer, Chef der Berliner Agentur blumberry, lange Jahre SPD-Mitglied, half noch 1998 an führender Stelle, Helmut Kohl zu stürzen. Jetzt wirbt er für Angela Merkel.