Ohne Online-Zugang sind viele Senioren von Dienstleistungen ausgeschlossen. Verbraucherministerin Aigner alarmiert

Berlin. Ingrid Schäffer hat kein Handy, Internet hat sie auch nicht. Die 74-jährige kam ganz gut ohne beides klar. Bis jetzt. Frau Schäffer hat seit ein paar Monaten ein Problem mit der Post. Wenn ein Paketbote bei ihr klingelt, sie aber nicht zu Hause ist, geht das Paket stattdessen an die nächstgelegene Poststation – wo die alte Dame es abholen muss. Das ist beschwerlich, denn die Filiale ist 20 Minuten zu Fuß von Frau Schäffers Wohnung entfernt. Nun gibt es bei der Post die Möglichkeit, sich seine Pakete zur Abholung stattdessen in eine „Wunschfiliale“ liefern zu lassen. Für Frau Schäffer wäre das ideal, denn es gibt eine Poststelle, die sie recht einfach mit dem Bus erreichen kann.

Für die Berlinerin ist dieser Service allerdings nicht zu haben. Denn den gibt es nur für Internetnutzer. Schäffers Tochter hat alles probiert: hat sich an die Telefon-Hotline der Post gehängt, hat Briefe geschrieben mit der Bitte, für ihre Mutter die Poststelle mit dem Busanschluss als Standardfiliale einzurichten. Die Post blieb hart. Nur wer sich mit E-Mail-Adresse und Handynummer auf der Internetseite paket.de registriere, könne den Ausweichservice nutzen. Per Postkarte gehe das nicht, teilte das „Team Packstation von DHL“ mit. „Wir bedauern, dass wir Ihnen diesmal nicht weiter behilflich sein können.“

E-Mails, Online-Shops und Handydienste machen das Leben für die meisten Kunden angenehmer und einfacher – doch für viele ältere Kunden bewirkt der Übergang in die Digitalwirtschaft das Gegenteil. Manche Dienste können sie gar nicht nutzen, andere sind für sie teurer. Rund 70 Prozent aller über 70-Jährigen in Deutschland haben laut dem aktuellen (N)Onliner-Atlas der Initiative D21 keinen Internetzugang. Damit sind sie von der Nutzung vieler Angebote faktisch ausgeschlossen. „Viele unserer Mitglieder fragen sich, ob die Unternehmen wohl auf sie als Kunden verzichten können“, sagt Ursula Lenz von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) in Bonn.

Besonders verbreitet ist das Phänomen offenbar bei Banken. Abgesehen davon, dass reine Online-Banken mit ihrem Angebot komplett an der Kundschaft über 70 vorbeiplanen, schließen sogar Sparkassen – zu deren Kunden klassischerweise überdurchschnittlich viele Senioren gehören – immer häufiger Ältere von Angeboten aus. Die Sparkassen Berlin und Köln/Bonn etwa bieten Tagesgeldkonten nur online an, sagt Stefan Marotzke vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband. „Kunden, die keinen Computer haben, wird ein Alternativangebot gemacht, zum Beispiel Festgeld.“ Auch bei der Sparkasse Burgenlandkreis, kann man das Tagesgeldkonto nur nutzen, wenn man über einen Internetanschluss verfügt. „Die meisten unserer Kunden haben dieses Angebot noch nicht vermisst“, sagt Sprecherin Verena Fischer. „Wäre es anders, hätten wir sicher schon darüber nachgedacht, dies zu ändern.“ Ältere Kunden machten einen großen Teil der Kundschaft ihres Instituts aus.

Senioren gehören zu den konsumfreudigsten Kundengruppen Deutschlands. Laut einer Schätzung der Gesellschaft für Konsumforschung liegt die jährliche Kaufkraft der älteren Kunden bei jährlich 640 Milliarden Euro. Umso verwunderlicher, dass einige Unternehmen trotzdem keine Zugangsalternativen für all jene von ihnen bieten, die weder Internet noch Handy haben.

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) fordert daher von Firmen, nicht am Service für ältere Kunden zu sparen. „Die Absicht der Wirtschaft, wo immer es geht, Personalkosten zu sparen, darf nicht dazu führen, dass Menschen ohne Internetanschluss abgekoppelt oder benachteiligt werden“, sagte sie. „Egal ob Bankgeschäfte, Reisebuchung oder Kundendienst: Ich sehe es mit Sorge, dass immer mehr Dienstleistungen nur noch online verfügbar sind.“

Wahrscheinlich ist dies ein Problem, das sich in der nächsten Generation „ausgewachsen“ haben wird; nutzen doch die Alten von morgen Computer und Internet selbstverständlich für Einkäufe, Bankgeschäfte oder Telekommunikation. Trotzdem, argumentieren Verbraucherschützer, müsse es bis dahin bessere Übergangslösungen geben. Die Digitalisierung der Wirtschaftswelt hat auch dazu geführt, dass viele Angebote mittlerweile deutlich teurer sind, wenn man sie nicht über das Internet bucht, sondern an den Schalter geht – schließlich bedeutet dies für die Anbieter Personalkosten. Bei der Deutschen Bahn etwa mussten bereits vor drei Jahren Gerichte über die Frage entscheiden, ob dies zulässig ist. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel urteilte damals in zweiter Instanz, der Aufschlag von zwei Euro, den die Bahn beim Ticketkauf am Schalter gegenüber der Onlinebuchung von Wochenendtickets verlangte, sei rechtmäßig.

Auch bei Flügen ist die Buchung per Telefon oft deutlich teurer als online. Der Billigfluganbieter Easyjet etwa verlangt für die Buchung über seine Telefonhotline pro Flug einen Aufschlag von 18 Euro. Zu viel, urteilt Aigner. Schließlich seien diejenigen, die keinen Internetanschluss haben, vor allem Ältere und sozial Schwache. „Sie zahlen oft die Rechnung dafür, wenn Unternehmen am Service sparen und ihren Kundendienst allenfalls noch virtuell anbieten.“