Juristin zieht von Berlin nach Köln, weil sie wegen ihres Mandats der mutmaßlichen Rechtsterroristin angefeindet wird – auch in ihrem Kollegenkreis

Berlin/Köln. Früher, vor ihrer Krebserkrankung, lief Beate Zschäpes Verteidigerin Anja Sturm Marathon. Sie kann die Zähne zusammenbeißen und lange Strecken durchhalten, sie versteht es, Störungen zu ignorieren und ihrem Weg zu folgen. Ab einer gewissen Strecke sei alles eine Frage des Kopfes, so ließ sich Sturm vor dem Auftakt des NSU-Prozesses in der Frauenzeitschrift „Brigitte“ zitieren.

Und der Wille könne trainiert werden. Das hat ihr offenbar auch bei der Bewältigung ihrer Krankheit geholfen. Sie läuft gern und viel, besonders lange Strecken. Doch Wille und Zielbewusstsein allein reichen eben doch nicht immer aus. Diese Lektion muss die 1970 in den USA geborene Juristin gerade bitter lernen.

Dass sie im August 2012 die Verteidigung einer mutmaßlichen Rechtsterroristin übernahm, hat ihr Anfeindungen und Unverständnis beschert, sogar in Kollegenkreisen. Als sie sich Anfang 2013 für den Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger bewarb, fiel sie durch. Es gehöre sich nicht, Neonazis zu verteidigen, hatten einige Mitglieder der linksliberal ausgerichteten Vereinigung argumentiert und mit Austritt gedroht.

Nach heftiger Diskussion senkte sich der Daumen über Sturm. Und das, obwohl der 43-jährigen, besonnenen Anwältin niemand eine rechte Gesinnung unterstellte. Doch Sturms Position, dass jedem Angeklagten, ob mutmaßlicher Kinderschänder oder Neonazi, eine bestmögliche Verteidigung im Rechtsstaat zustehe, wollten viele gestandene Anwälte nicht folgen.

Jetzt verliert die Anwältin und Alleinversorgerin ihrer Familie wegen Beate Zschäpe sogar Job und Heimat: Die Berlinerin muss laut „Tagesspiegel“ ihre Kanzlei Weimann & Meyer in Berlin verlassen, wo sie seit eineinhalb Jahren eine von sechs Beratern ist. In der Kanzlei rumorte es wegen des Mandats zunehmend; womöglich wuchs auch die Sorge, dass sich potenzielle Kunden mit türkischen Wurzeln an dem Zschäpe-Mandat stören könnten.

Verwunderlich wäre das nicht. Die auf Strafverteidigung und Arbeitsrecht spezialisierte Kanzlei hat ihre Büros in der Berliner Kurfürstenstraße, unweit von Nollendorfplatz und Potsdamer Straße. In dieser Gegend wohnen viele türkischstämmige Bürger. Insgesamt leben in Berlin mehr als 200.000 Menschen mit türkischen Wurzeln, mehr als in jeder anderen Stadt der Welt.

Kanzleimitgründer Axel Weimann will es zwar dennoch so nicht dargestellt wissen, dass es um den Ruf der Kanzlei bei der türkischen Klientel gehe. Allerdings gesteht er ein, Sturm von dem Mandat abgeraten zu haben. Und offenbar fällt es ihm und den anderen Partnern der Kanzlei zunehmend schwer, sich immer wieder für einen Auftrag rechtfertigen zu müssen, hinter dem die Sozietät nicht oder zumindest nicht voll steht.

Sturm, enttäuscht von der mangelnden Rückendeckung, suchte nach einer anderen Kanzlei in Berlin, damit ihre 2003 geborenen Zwillinge und ihr Mann – der die Kinder versorgt – nicht schon wieder umziehen müssen. Erst Anfang 2012 war die Familie aus München an die Spree umgesiedelt, wo Sturm am Kammergericht ihr Referendariat hinter sich gebracht hatte.

Auch andere Berliner Anwaltsfirmen zogen die Zugbrücken hoch. Sie habe zu hören bekommen, die Verteidigung Zschäpes sei für eine Kanzlei „ein Killermandat“, sagt Sturm dem „Tagesspiegel“. Deshalb wandert die 43-Jährige nun nach Köln ab – in die Kanzlei von Wolfgang Heer, der ebenfalls Zschäpe verteidigt.

Anja Sturm machte sich 1999 als Juristin selbstständig, seit 2003 ist sie Fachanwältin für Strafrecht. Von 2004 bis Anfang 2012 arbeitete sie in München – womöglich mit ein Grund dafür, dass Wolfgang Heer sie bat, mit ins Boot bei der NSU-Verteidigung zu steigen. Zu Beginn war Heer Zschäpes alleiniger Anwalt. Doch die 38-jährige Zschäpe, die der Mittäterschaft an zehn Morden angeklagt ist, wünschte sich auch eine Frau als Ansprechpartnerin. Neben Wolfgang Stahl, einem Koblenzer Anwalt, sprach Heer also Anja Sturm an.

Dabei hatte die Juristin, die ihre blonden Haare seit der Chemotherapie kurz trägt, sich über Jahre vor allem bei Wirtschafts- und Arztstraffällen verdient gemacht oder Angeklagte in Kapitalstrafsachen vertreten. Sie verteidigte in Untreue- und Korruptionsverfahren im Zusammenhang mit Unternehmen wie Siemens, MAN und Bristol-Myers Squibb oder in größeren Betrugsverfahren wie in den Komplexen um die Unternehmen Vodafone und ThyssenKrupp. Einen Erfolg errang sie aber beim „Mord ohne Leiche“ in Regensburg, wo ihr für den 59-jährigen Angeklagten ein Freispruch gelang. Das Oberlandesgericht München, das gegen Zschäpe verhandelt, kennt sie aus dem „Islamisten-Prozess“.

Doch all das hat sie offenbar nicht darauf vorbereitet, was es heißt, im Scheinwerferlicht des größten Prozesses dieses Jahrzehnts zu stehen. Dass ihre Kanzlei ihr die Unterstützung versagte, habe sie „enttäuscht“; über das Rumoren in der Kanzlei sei sie „geschockt“ gewesen.

In dem Porträt der „Brigitte“ vor dem Prozessauftakt hatte das noch anders geklungen. Auf die Frage, ob ihr die öffentliche Empörung über Zschäpes Schweigen vor Gericht zu schaffen mache, hatte sie geantwortet: „Die Wut halten wir locker aus.“