Vor allem Osteuropäer nutzen die Chance, ihre Berufe in Hamburg auszuüben. Doch viele Bundesländer folgen dem Beispiel nicht

Hamburg. Der Kopf müsse frei werden, hob Kanzlerin Angela Merkel unlängst hervor. Frei von Klischees und Vorurteilen gegenüber Zuwanderern. „Wir wollen ein Integrationsland sein“, sagte sie. Dabei hob sie auch das seit gut einem Jahr in Kraft getretene Anerkennungsgesetz hervor. Auch die einzelnen Bundesländer sind seitdem in der Pflicht, die beruflichen Abschlüsse von Zuwanderern zu prüfen und anzuerkennen. Oder aber Weiterbildungskurse einzuleiten, damit eine Anerkennung erreicht werden kann. Das Gesetz soll vor allem eines: Den Zuwanderern Klarheit über Chancen und Potenzial auf dem deutschen Arbeitsmarkt geben. Und die Maßnahme der Regierung soll neue Fachkräfte ins Land bringen.

Hamburg setzte das Gesetz als erstes Bundesland im August 2012 um. Dem Hamburger Abendblatt liegen nun Zahlen aus dem ersten Halbjahr 2013 vor. 701 Menschen beriet die Zentrale Anlaufstelle Anerkennung (ZAA) in den ersten sechs Monaten, in insgesamt 1114 Gesprächen. Die Stadt und der Europäische Sozialfonds finanzieren die Dienststelle bei der Diakonie in Hamburg. Von den gut 700 Anträgen fanden nur 177 Menschen eine volle Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikationen, die sie in ihren Heimatländern erworben hatten. In 198 Fällen dagegen akzeptierten Behörden und Kammern nur teilweise die ausländischen Abschlüsse. Über knapp 300 Fälle haben die Behörden noch nicht entschieden.

Gerade bei Lehrern und Erziehern liegt die Zahl der vollen Anerkennung bei nur 60 Abschlüssen. Dagegen akzeptierte die Schulbehörde bei 158 Menschen nur teilweise den Abschluss aus dem Ausland. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Kazim Abaci fordert hier stärkere Weiterbildungsprogramme durch die Behörden, um die Quote einer vollen Anerkennung zu erhöhen. Insgesamt lobte Abaci die Arbeit des SPD-Senats bei der Unterstützung von Migranten, auf dem Hamburger Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Vor allem die hohe Anzahl von Frauen ist bemerkenswert“, sagte Abaci dem Abendblatt. Etwa zwei Drittel der Zuwanderer, die ein Beratungsgespräch bei der ZAA besuchten, waren im ersten Halbjahr 2013 weiblich. Positiv sei auch, dass viele Menschen aus Osteuropa ihre Abschlüsse anerkennen lassen wollen. Die seien oftmals besonders gut qualifiziert im Vergleich zu Zuwanderern aus anderen Regionen. Die meisten Anträge auf Anerkennung stellten Menschen aus Russland, aber auch Polen und Ukrainer sind stark vertreten.

Die OECD sieht Nachholbedarf bei der Integration in den öffentlichen Dienst

Laut Schätzungen leben hierzulande 300.000 Migranten, die ihre in der Heimat erworbene Qualifikation nicht nutzen. Das Anerkennungsgesetz soll dafür sorgen, dass sie nicht schon deshalb scheitern, weil Urkunden oder Zeugnisse aus formalen Gründen nicht akzeptiert werden oder sie bei der Vielzahl der Zuständigkeiten bei den Behörden keinen Weg finden, ihre Abschlüsse bewerten zu lassen. Abaci sieht in dem Gesetz zur Anerkennung zum einen eine moralische Verpflichtung gegenüber den Zuwanderern. Zum anderen sei es eine Chance, dem Mangel an Fachkräften in Deutschland entgegenzuwirken. Und doch ziehen nicht alle Bundesländer nach. Bisher haben neben Hamburg nur vier weitere Länder ein Anerkennungsgesetz verabschiedet. Und die Arbeitgeberverbände machen Druck. Der BDA-Vizevorsitzende Gerhard Braun forderte unlängst die Ministerpräsidenten in einem Brief zur schnelleren Umsetzung auf. Zudem müssten die Regeln gerade bei den Heilberufen einheitlich seien. Dort fehle es in Deutschland vor allem an Fachkräften. Zuvor hatte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) kritisiert, dass diverse Länder ausgerechnet ausländische Abschlüsse von Ingenieuren von der Anerkennung ausnehmen werden. Offenbar geschehe das „aus Konkurrenzgründen“. Der Ärztekammer in Hamburg lagen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres insgesamt nur acht Anträge auf Anerkennung vor. Fünf davon fanden bereits volle Akzeptanz. Ingenieure suchten in Hamburg keine Beratungen auf.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht in Deutschland großen Nachholbedarf bei der Integration von Zuwanderern in den öffentlichen Dienst. Gerade für Zuwandererkinder sei der Zugang zum öffentlichen Dienst aber überaus wichtig. Der SPD-Abgeordnete Abaci forderte zudem, dass auch Flüchtlingen stärker die Chance auf eine Anerkennung ihrer Abschlüsse eröffnet werde. Bisher werbe die Stadt zu wenig in Wohnheimen oder bei den Flüchtlingsorganisationen. „Das sind verschenkte Arbeitskräfte“, sagt Abaci. Denn auch Flüchtlinge haben das Recht, den Wert ihrer Abschlüsse prüfen zu lassen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.