Abstecher vor der Bundestagswahl: Die Kanzlerin begegnet in Fischbeck den Sorgen flutgeschädigter Bewohner

Fischbeck. Die Sonne brennt. Der Sand auf dem Elbdeich bei Fischbeck in Sachsen-Anhalt ist knochentrocken. Staub wirbelt auf, als die Limousine mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorfährt. Ein paar Schritte sind es bis zu der schicksalhaften Stelle, wo der Deich dem Hochwasser der Elbe nicht mehr standhielt und auf einer Länge von 90 Metern brach. Das war am 10. Juni, einem Montag, kurz nach Mitternacht.

Tagelang strömten bis zu 1000 Liter Wasser pro Sekunde in das Hinterland. 150 Quadratkilometer Land zwischen Elbe und Havel versanken in den Fluten. Höher gelegene Ortschaften wurden zu Inseln und waren nur mit dem Boot zu erreichen. Tausende Menschen mussten ihre Wohnungen und Häuser verlassen. An diesem heißen Sommertag fällt es schwer, sich die gewaltigen Wassermassen und das ganze Ausmaß der Katastrophe auch nur vorzustellen.

Merkel blickt suchend um sich. Die Elbe hat sich längst in ihr Flussbett zurückgezogen und ist am Horizont nur zu erahnen. Auch die drei Lastkähne, die gesprengt und versenkt wurden, um den Deich provisorisch zu schließen, sind zu 400 Tonnen Altmetall zerlegt und abtransportiert worden. Jetzt sichert eine Spundwand die Stelle. Die Vorbereitungen für den Deichneubau beginnen in diesen Tagen. Es wird diskutiert, die Deichlinie zurückzuverlegen, um der Elbe mehr Raum zu geben.

Hier informiert sich Merkel, wie es nach dem verheerenden Hochwasser mit dem Wiederaufbau vorangeht. Die wichtige Bundesstraße 188 zwischen Rathenow und Tangermünde wurde bereits instand gesetzt. Die Telefone dagegen funktionieren vielerorts noch nicht. Die Reparatur der Kabel braucht ihre Zeit, weil mit dem Hochwasser auch der Grundwasserspiegel gestiegen war und erst gesunken sein muss, damit die Erdarbeiten beginnen können.

Auch die ICE-Strecke zwischen Stendal und Rathenow ist noch gesperrt. Wo noch Wasser steht, hängt ein brackiger Geruch in der Luft. Auf Feldern trocknet braun-grauer Schlamm. „Verbrannte Erde“, nennen das die Menschen hier. Die Ernte ist vernichtet. Bauern müssen schon Vieh verkaufen, weil sie nicht genügend Futter haben. Kaum ein Tourist verirrt sich in diesem Sommer in die Region.

Dabei sieht es zumindest auf den meisten Straßen wieder recht ordentlich aus. Der vom Wasser zerstörte Hausrat ist aus den Häusern geräumt und abtransportiert worden: Noch türmen sich an manchen Ecken Müllsäcke und Mobiliar. Und wie zum Trotz steckt auf einem besonders großen Schuttberg eine Deutschlandfahne – als wollten die Menschen sagen: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Doch wenn sie beginnen, von ihren Erlebnissen zu erzählen, kommen ihnen die Tränen.

Der Schock sitzt tief. Die Gefasstheit ist nur Fassade, hinter der sich Kummer und Verzweiflung verbergen. Der Besuch Merkels scheint da kaum mehr als symbolische Bedeutung zu haben. Die Kanzlerin kann hier aber abseits von Drohnen-Debakel und Spähaffäre zumindest das Gefühl vermitteln, sich um die Sorgen und Nöte der Menschen zu kümmern. Noch im August, so versichert Merkel, sollen die ersten Gelder aus dem Acht-Milliarden-Fonds von Bund und Ländern fließen. Die Betroffenen warten dringend auf finanzielle Unterstützung. Allein die Trockengeräte treiben die Stromrechnungen in die Höhe.

Der Abstecher in die Hochwasserregion ist zwei Monate vor der Bundestagswahl natürlich auch ein Wahlkampftermin, auch wenn Merkel das von sich weist. Sie tue nur, was sie glaube, als Kanzlerin tun zu müssen und was ihr „mein Verstand und mein Herz“ sagten. Das richtige Timing in einer Krisen-Situation aber kann zweifellos eine Wahl entscheiden, wie Gerhard Schröder (SPD) 2002 beim Elbehochwasser vorgemacht hat. Sein Deich-Einsatz sicherte ihm letztlich die Bestätigung im Amt als Bundeskanzler. Vielleicht ist das ein Grund, warum sich Politiker mit Besuchen in dem Hochwasser-Gebiet bislang eher rar gemacht haben – so dass Betroffene schon fürchteten, vergessen worden zu sein. Viele haben alles verloren, wie Fischer Gernot Quaschny. Im blauen Fischerhemd und mit Gummistiefeln steht er neben Merkel auf dem Deich. „Sagen Sie etwas“, fordert sie ihn auf. Quaschny hat viel zu sagen.

Er hatte gerade seinen 50. Geburtstag gefeiert und war schuldenfrei, als das Hochwasser kam. Die Seen, auf denen er gefischt hat, sind nun stinkende Kloaken, sämtliche Fische sind tot. Sein altes Fachwerkhaus mit der Räucherei und dem Laden stand mehr als 20 Tage unter Wasser. Vor einer Woche hat er es abreißen lassen. „30 Jahre Arbeit umsonst“, sagt Quaschny. Während des Hochwassers war er mit seinem Boot pausenlos als Fluthelfer im Einsatz.

Jetzt fürchte er, dass die Region zum „Armenhaus“ Deutschlands wird: „Allein kommen wir nicht wieder auf die Beine.“ Er hofft auf Unterstützung von Land, Bund und Europäischer Union. Um Gelder zu verteilen, müsste eine unabhängige Kommission eingesetzt werden, die „nicht von hier“ sein dürfe – um Neid und Missgunst zu vermeiden.

Quaschny hat den Willen, weiterzumachen – irgendwie. Ein neues Haus will er nicht bauen. Stattdessen will er ein Hausboot aufstellen, das beim nächsten Hochwasser zu einer „Arche Noah“ werden könnte.