Drohnen-Untersuchungsausschuss: Ex-Verteidigungsminister Scharping sieht „Holschuld“ seines Nachfolgers bei Informationen

Berlin. Einer der ersten Missstände, die Thomas de Maizière nach der Übernahme seines Amtes als Verteidigungsminister beklagte, war die Neigung seiner Mitarbeiter zur Flucht aus der Verantwortung. Über die Jahrzehnte habe sich bei der Bundeswehr eine Absicherungsmentalität eingeschlichen, auf den Punkt gebracht in einem geflügelten Wort der Militärs: „Melden macht frei“.

Der CDU-Politiker beschrieb die bürokratische Hierarchiegläubigkeit in seiner Behörde so: „Wenn ich ein Problem meinem Vorgesetzten gemeldet habe, geht es mich nichts mehr an.“ Er wolle erreichen, kündigte de Maizière an, „dass es wieder Freude an der Übernahme von Verantwortung gibt. Führen muss belohnt werden. In der Bundeswehr darf nicht Bürokratie herrschen, sondern der Grundsatz der Eigenverantwortung.“ So weit der Plan.

Dann erreichte den Minister die Affäre um die Aufklärungsdrohne „Euro Hawk“. Das milliardenschwere Rüstungsprojekt war vor zwölf Jahren auf den Weg gebracht worden, 2007 wurde der Kaufvertrag unterzeichnet. Im Mai 2013 stoppte de Maizière das Vorhaben aufgrund von massiven Probleme bei der Zulassung der Drohne für den europäischen Luftraum und einer drohenden Kostenexplosion. Zu diesem Zeitpunkt war schon mehr als eine halbe Milliarde Euro investiert worden. Seine eigene Verantwortung suchte de Maizière nun mit dem Hinweis kleinzureden, er sei von seinen Mitarbeitern lange Zeit nur unzureichend über die Probleme informiert worden. Unzureichend heißt konkret: Der Minister will am 1. März 2012, also ziemlich genau ein Jahr nach seinem Amtsantritt, im Rahmen einer Rüstungsklausur erstmals von den Zulassungsschwierigkeiten beim „Euro Hawk“ erfahren haben. Damals seien die aber noch als lösbar eingestuft worden. Dann will er erst wieder am 13. Mai 2013 damit befasst gewesen sein, als er die Entscheidung seiner Staatssekretäre billigte, die Beschaffung zu stoppen.

Nachdem bereits einige mittlerweile an die Öffentlichkeit lancierte Dokumente aus der Behörde diese Darstellung infrage gestellt hatten, nährten auch die ersten Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss des Bundestags Zweifel an de Maizières Schilderung der behördeninternen Vorgänge. So sagte der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), unter dessen Ägide das Projekt 2001 mit mehreren Konzeptstudien aufs Gleis gesetzt worden war, der „Euro Hawk“ sei ein Vorhaben von zentraler strategischer Bedeutung gewesen. Die Bundeswehr habe im Bereich Aufklärung und Informationsbeschaffung eine Fähigkeitslücke gehabt, die man habe beheben wollen. Wenn es aber darum gehe, eine solche „substanzielle Fähigkeitslücke“ zu schließen, dann könne der Vollzug nicht der Bürokratie überlassen werden, sagte Scharping. Dann habe der Minister vielmehr eine „Holschuld. Ich muss mich regelmäßig informieren, Anstoß dazu geben, Fragen stellen.“ Dies könne auch informell während eines Dienstflugs oder „mal beim abendlichen Rotwein“ geschehen, führte der SPD-Politiker weiter aus.

Mit anderen Worten: De Maizière mag das Prinzip „Melden macht frei“ generell zu Recht infrage stellen. Bei wichtigen Projekten aber kann er sich nicht aus der Verantwortung stehlen, so war Scharping zu verstehen.

Ähnliches hatte zuvor bereits der frühere Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan geäußert. Der von 2002 bis 2009 als oberster Militär der Bundeswehr amtierende Ruheständler sagte, wenn er immer nur auf schriftliche Vorlagen gewartet hätte, wäre er sicher deutlich kürzer im Amt gewesen. Ein Generalinspekteur würde sogar „hohe Gefahr“ laufen, wenn er aus jedem Sachverhalt eine schriftliche Vorlage machen würde. Es bestehe nämlich das Risiko, dass solche Vorlagen eher bei der Presse als beim Minister landeten. Er jedenfalls habe immer getreu dem Motto „Melden macht frei“ gehandelt: „Wenn mir etwas unter den Nägeln brannte, dann habe ich mir Vortragszeit beim Minister besorgt.“

Was ihre eigene Verantwortung angeht, sprachen sich Scharping und Schneiderhan ebenso wie der dritte Zeuge dieses Tages, Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU), von jeglicher Schuld für das Scheitern des Projektes frei. Scharping wies den Vorwurf zurück, dass bereits bei der Konzeption des „Euro Hawk“ die entscheidenden Fehler gemacht wurden. Von einem „Geburtsfehler“ könne man jedenfalls nicht sprechen, ließ er den Untersuchungsausschuss wissen. Schneiderhan führte aus, dass sich in der Konzeptionsphase jeder bewusst gewesen sei, dass der „Technologiesprung“ einer Drohnen-Anschaffung ein Risiko bedeute. Das sei aber kein Hinderungsgrund gewesen, die Beschaffung voranzutreiben: „Es war niemand zu diesem Zeitpunkt da, der uns in irgendeiner Form gesagt hätte: nein.“

Und Jung, unter dessen Ägide 2007 der Entwicklungsvertrag unterzeichnet worden war, will von Zulassungsproblemen überhaupt nie etwas gehört haben. Die Zeugen brachten auch ihr Unverständnis über den Abbruch des Projektes zum Ausdruck. „Mir erschließt sich nicht ganz, warum die Zulassungsprobleme für den zivilen Luftraum dazu führen sollen, dass auch eine rein militärische Zulassung nicht möglich sein soll“, sagte Scharping. Schneiderhan legte dar, er sehe bis heute keine Alternative zum „Euro Hawk“: Die Drohne sei die richtige Technologie, „deswegen wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen: Dann lassen wir es bleiben.“

Die Vertreter der Opposition im Untersuchungsausschuss sahen es nach den ersten Aussagen als erwiesen an, dass de Maizière zu nachlässig mit dem Thema „Euro Hawk“ umgegangen sei. Die Verteidigungslinie des Ministers sei „wie ein Kartenhaus zusammengefallen“, sagte der SPD-Politiker Rainer Arnold. Der Grüne Omid Nouripour fand, die Zeugenaussagen „belasten de Maizière sehr“. Die Vertreter der Koalition dagegen blieben bei ihrer Einschätzung, dass schon weit vor der Amtszeit de Maizières Fehler gemacht wurden: das Risiko der nicht zu erreichenden Zulassung sei bereits in den ersten Entscheidungen angelegt gewesen. Bis Ende Juli werden nun weitere 16 Zeugen befragt, als letzter de Maizière. Ende August wird der Ausschuss seinen Abschlussbericht vorlegen. Nach dem ersten Tag liegt der Vermutung nahe: Beide Seiten werden sich nicht auf einen Hauptschuldigen verständigen können.