Kanzlerin will Spähskandal positive Seiten abgewinnen. Aufklären sollen andere – der Bundesnachrichtendienst oder der Verfassungsschutz

Berlin. Es gab wirklich schon mehr zu lachen bei diesem Termin. Alle Jahre wieder lädt die Bundespressekonferenz die Kanzlerin vor deren Urlaub ein, zu „aktuellen Themen der Innen- und Außenpolitik“ Rede und Antwort zu stehen. Ein Ereignis, das Chancen bietet: Weil es so unmittelbar ist, weil sich selten so viele Journalisten der Hauptstadtpresse so lange vor einem Podium versammeln, weil nachgefragt, nachgehakt werden kann und – aus Politikersicht – die Kernanliegen sich ständig wiederholen lassen. Merkel hat an dieser Stelle schon öfter überrascht; etwa 2010, als sie in strahlend weißem Unschuldsoutfit bestens gelaunt vor eine missmutige Menge trat, die sich nach den heftigen Kleinkriegen in der jungen Koalition auf die finale Ausweidung von Schwarz-Gelb eingeschworen hatte. Doch Merkel lullte alle ein. Lächelte, witzelte die Probleme weg, kündigte einen Herbst der Entscheidungen an. Dann war endlich Sommer.

An diesem Freitag ist sie ernster, ein paar Prisen Ironie müssen reichen. Der verbleibende Sommer wird keiner sein. Wegen des Wahlkampfs und wegen Prism. Bei keinem Auftritt der vergangenen Legislatur waren die angekündigten aktuellen Themen so nah, ja gab es eigentlich nur ein Thema. Durch den US-Spähskandal haben sich Innen- und Außenpolitik vollends vermischt. Jede eigentlich naheliegende Frage, die auf die vergangenen vier Jahre oder andere Themen zielt, wirkt da fehl am Platz, skurril, aus der Zeit gefallen.

Merkel hat sich darauf vorbereitet. Die Überraschung kalkuliert, zunächst gerade nicht auf Prism einzugehen, sondern an das große Hochwasser vom Juni zu erinnern. In der kommenden Woche will sie noch einmal in Flutgebiete reisen. Als wollte sie mit entsprechenden Bildern den Schröder-Effekt von 2002 leicht variiert kopieren, mit dem Unterschied, dass das Wasser ja schon abgeflossen ist. Die Bilder vom Juni, als sie schon einmal an Elbe, Mulde und Donau war, sind schließlich nur noch verschwommen in Erinnerung.

Nach einem kurzen Exkurs in die Euro-Schuldenkrise, von der sie sagt, dass sie die Europäer auch in den kommenden Jahren beschäftigen werde, und einer Wiederholung ihrer viel belächelten Einschätzung, dass es sich bei der schwarz-gelben um die beste Regierung seit der Wiedervereinigung handle, landet sie endlich beim Thema Sicherheit und Datenschutz. Dabei versteht sich Merkel nicht als Aufklärerin in dem Sinn, dass sie zu irgendwelchen technischen, rechtlichen oder terminlichen Fragen Auskunft geben will. „Ich habe meinen Beruf gewechselt. Es ist nicht meine Aufgabe, mich in Details einzuarbeiten“, sagt sie nonchalant, als sie darauf festgelegt wird, als Physikerin doch die Funktionsweise von Prism verstehen zu müssen. Merkel will offensichtlich vermeiden, in die Lage zu geraten, in der sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière befindet. Der droht im Morast der kniffligen Details des Rüstungsprojekts „Euro Hawk“ unterzugehen und muss nun auch noch ab Montag einen Untersuchungsausschuss zu dem Thema überstehen. Merkel will weg vom konkreten Problem, in ihrem Fall Prism. Darum sollen sich andere kümmern. Sie nennt die Behörden, den Bundesnachrichtendienst, den Verfassungsschutz, das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik. Diese versuchten „so schnell und präzise wie möglich alle Fragen zu klären und zu erklären gegenüber der Bundesregierung wie auch der Öffentlichkeit“. Ein aufschlussreicher Satz.

Sicherheit und Freiheit stünden seit jeher in einem Konflikt miteinander

Merkel will also ihrerseits nichts erklären, hat sie doch, wie sie sagt, durch die Vorgänge auch nur aus der Presse erfahren – als hätte die Bundeskanzlerin gegenüber dem einfachen Bürger keinen Informationsvorsprung oder die Pflicht, diesen zu haben. Dies kann als bemerkenswertes Eingeständnis von Unwissenheit und Naivität gewertet werden oder als schlaue Taktik, um nicht das Schicksal ihres Verteidigungsministers zu teilen. Der hatte genau den anderen Weg gewählt; sich nach wochenlangem Schweigen zu allerhand Erklärungen hinreißen lassen, die viel zu viele neue Fragen aufwarfen. Merkel nutzt die ihr vom Grundgesetz zugestandene Richtlinienkompetenz, um das vermeintliche Klein-Klein – etwa ob nun zwei verschiedene Programme Namens Prism nicht doch identisch seien – hinter sich zu lassen. „Als Bundeskanzlerin habe ich eine übergeordnete politische Aufgabe“, sagt sie.

Was kommt, klingt fast wie die Phrase eines imaginären Amtseids – hatte ihr nicht SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück vorgeworfen, den Amtseid gebrochen zu haben?: „Ich trage Verantwortung für zwei große Werte, für Freiheit und Sicherheit, konkret für den Schutz der Bürger vor Anschlägen, vor Kriminalität wie auch den Schutz der Bürger vor Angriffen auf ihre Privatsphäre.“ Beides stünde seit jeher in einem Konflikt miteinander. Dann zitiert sie ihren Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und pflichtet ihm bei, dass in Deutschland „die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren“ gelten müsse. Gerhard Schröder hatte dies im Zusammenhang mit seinem Nein zum Irak-Krieg gesagt.

Merkel gerät nicht richtig in Bedrängnis, da sie eben nicht auf Details eingeht

Und noch vor wenigen Tagen forderte Steinbrück die Kanzlerin in einem Interview auf, sich wie Schröder zu verhalten und diesen Satz im Hinblick auf die Überwachung der Bürger anzuwenden. Offenbar macht es Merkel kein Problem, dies dem Konkurrenten zuzugestehen. Aber das kennt man ja von ihr, bevor die SPD aus einer Idee oder Parole Profit schlagen kann, bemächtigt sie sich derer lieber. Merkel gerät bei keiner Frage zu Prism richtig in Bedrängnis, da sie eben nicht auf Details eingeht. Was die Kenntnis von Prism anbelangt, ist sie defensiv. Was die Reaktion darauf angeht, will sie in die Offensive. Allenfalls als jemand wissen will, was genau in einer Verwaltungsvereinbarung zum Gesetz über Einschränkungen zum Post- und Fernmeldegeheimnis aus dem Jahr 1968 steht, die sie laut eigener Aussage streichen will, gerät sie ins Schlingern. Sie habe den Text nicht vorliegen, sagt sie. Darin seien wohl spezielle Möglichkeiten der Alliierten festgelegt, die für das vereinigte Deutschland nicht mehr gelten könnten. Tatsächlich erlaubte die Vereinbarung den Diensten der Westmächte, deutsche Dienste für sich arbeiten zu lassen oder selbst in Deutschland Überwachung vorzunehmen.

Merkel nennt weitere sieben Maßnahmen, die sie unabhängig von dem Ergebnis der Prüfung von Prism ergreifen will. Darunter fällt auch die europäische Datenschutzverordnung, die Deutschland nach langem Zögern nun voranbringen will. Schließlich denkt Merkel sogar daran, amerikanischen Firmen den Markt streitig zu machen. Europa müsse sich fragen, wo es eigene Internet-Angebote entwickeln könne. Aber: „Das ist schwierig in Europa“, sagt sie. Halb so wild: „Die Arbeit als Kanzlerin ist deshalb so inspirierend, weil man immer wieder neue Probleme hat.“ Da wurde dann doch einmal gelacht.