Vorwürfe gegen Verteidigungsminister: Lüge, Verfassungsbruch und Reformversagen

Berlin. Der Auftrag des Untersuchungsausschusses ist ambitioniert. In nur sechs Wochen wollen 34 Bundestagsabgeordnete den Umgang der Bundesregierung mit dem Rüstungsprojekt Euro Hawk prüfen – und zwar unter „vertraglichen, rechtlichen, haushälterischen, militärischen, technologischen und politischen Gesichtspunkten“. Am kommenden Montag beginnen die Vernehmungen, als erste Zeugen sind der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und der ehemalige Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan geladen. Die Auswahl belegt, wie weit das Beschaffungsvorhaben zurückreicht: Scharping amtierte von 1998 bis 2002, Schneiderhan von 2002 bis 2009.

Ob sich das über eine Dekade und damit unzählige politische sowie militärische Verantwortungsträger erstreckende Projekt in wenigen Wochen tatsächlich seriös aufarbeiten lässt, daran lässt sich zweifeln. Worum geht es den treibenden Kräften bei der Einrichtung des Untersuchungsausschusses, den Grünen und der SPD, also dann? Das kann man an einem kleinen Zusatz im offiziellen Auftrag nachlesen: Einen besonderen Schwerpunkt soll die Informationspraxis durch die amtierende Bundesregierung bilden. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, präzisierte das mit einer Karikatur, die er auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte. Sie zeigt den aktuellen Minister, Thomas de Maizière (CDU), mit einer Pinocchio-Nase: Der Amtsinhaber soll als Lügner überführt werden.

Es steht also zu erwarten, dass es in den nächsten Wochen weniger um vorhandene Mängel im Beschaffungswesen der Bundeswehr und deren Beseitigung gehen wird, sondern um die Demontage de Maizières. Der Untersuchungsausschuss droht zu einer Plattform des Wahlkampfs zu werden, auf der vor allem die Frage „Wer wusste wann von was und hätte wem wann was sagen müssen“ gewendet wird.

Andere Baustellen der Bundeswehrreform, die nach de Maizières Worten nichts weniger ist als „eine Operation am offenen Herzen, während der Patient weiter spazieren geht“, geraten aus dem Blick. Dabei würden sie eine genauere Betrachtung durchaus lohnen. Denn es drängt sich der Eindruck auf: Die Probleme wachsen dem Minister über den Kopf, der Patient droht zu kollabieren. Da sind zum Beispiel die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr. Deren Zahl soll bis 2017 auf 55.000 verringert werden. Wie groß der Überhang derzeit noch ist, kann das Ministerium nicht genau sagen. Auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Tobias Lindner hieß es, es gebe noch einen „haushalterischen Überhang von rund 33.000 Stellen.“ Darunter seien aber rund 21.000 Stellen, die „von Beschäftigten in Anspruch genommen werden, die Altersteilzeit oder die Härtefallregelung nach dem Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr in Anspruch nehmen“. Jedenfalls muss noch ordentlich reduziert werden, und die Methoden, derer sich de Maizière dabei bedient, sorgen für massiven Unmut.

„Das Vertrauen der zivilen Beamten in der Bundeswehr in die Führung ist geschwunden, und es droht völlig verloren zu gehen“, sagte Wolfram Kamm, Bundesvorsitzender des Verbandes der Beamten der Bundeswehr (VBB). Vor allem die Art des Umgangs mit den Beschäftigten finde er inakzeptabel, sagte Kamm. „Die Menschen fühlen sich wie auf einem Schachbrett hin- und hergeschoben. So dramatisch ist noch kein Verteidigungsminister mit seinem Personal umgegangen. Das hat tiefe Wunden hinterlassen.“ Der VBB ist in der Regel sehr zurückhaltend mit seiner Kritik. Dass Kamm sich nun dennoch äußert, will er als Notruf verstanden wissen, um auf die desaströse Stimmung in der Verwaltung hinzuweisen.

Ein Grund dafür ist zum Beispiel die Auslagerung der Personalabrechnung aus dem Ministerium in die Ressorts für Finanzen und Inneres. Der VBB-Vorsitzende vertritt sogar die durch ein Gutachten des Staatsrechtlers Heinrich Amadeus Wolff von der Universität Frankfurt/Oder untermauerte Auffassung, die Auslagerung sei „verfassungswidrig“. Sie verstoße nämlich gegen Artikel 87b Grundgesetz, der die Aufgaben der Wehrverwaltung regelt. Als Kamm dem Minister das Gutachten vorlegte, hielt de Maizière ihm eine von Juristen seines Ministeriums erarbeitete Gegenposition vor die Nase – und machte ungerührt weiter. Das Ergebnis von demotivierten Beamten und Angestellten bekommt de Maizière auch an anderer Stelle zu spüren. Weil viele erfahrene Mitarbeiter ihr Heil in der Flucht suchen und durch schnell angelernte Kräfte ersetzt werden müssen, bricht in Teilen der Wehrverwaltung Chaos aus. Etwa in der Beihilfestelle, die für Zuschüsse im Krankheitsfall zuständig ist. Bundeswehrmitarbeiter mussten zuletzt teilweise über mehrere Monate auf die Erstattung ihrer Arzt- und Krankenhauskosten warten.

Auf einer weiteren Baustelle der Bundeswehrreform ist jetzt schon klar, dass dieses Vorhaben scheitern wird. Vor zwei Jahren hatte de Maizière angekündigt, die Zahl der Generäle und Admirale zu reduzieren. Ein Jahr brauchte er, um diese Zahl zu konkretisieren: Statt 202 sollen es künftig 180 sein. Jetzt teilte das Ministerium mit, die Zahl der Generäle und Admirale liege, Stand 1. Juli, bei 201. SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels kommt zu dem Schluss: „Wir haben es bei de Maizière mit der am schlechtesten gemanagten Bundeswehr-Reform seit der Wiedervereinigung zu tun.“