Gertrud Steinbrück, die Frau des SPD-Spitzenkandidaten, bringt Emotionen in den Wahlkampf. Ihr Mann ruft Parteichef Gabriel zur Ordnung.

Berlin. Er ringt um Fassung. Ihm fehlen die Worte. Zum Glas Wasser greift er, und er kämpft mit den Tränen. Man hat Peer Steinbrück so noch nicht gesehen. Es ist ein eindrucksvoller Moment, am Sonntag um kurz nach 13 Uhr im Berliner Tempodrom. Die Genossen sind ergriffen. Sogleich stehen sie auf, um ihren Kandidaten zu ehren, oder vielleicht genauer: ihm beizustehen in schweren Zeiten. „Warum tun Sie es?“, fragte ihn die Moderatorin Bettina Böttinger zuvor, sie meinte die Anstrengung der Kanzlerkandidatur. Daraufhin versagt dem forschen Schnellsprecher Steinbrück die Stimme. Dabei ist es weniger diese Frage, die ihn so derart aus der Bahn wirft, als zuvor seine Ehefrau, genauer: die Worte von Gertrud Steinbrück.

Schon 20 Minuten lang sitzen die Steinbrücks auf roten Sesseln auf der Bühne. Die beiden wollen ihre private Seite zeigen, auch wenn Gertrud Steinbrück von derlei Klimbim wenig hält. Von der Kanzlerkandidatur war sie „erschüttert“, und nun spricht die Moderatorin genau dieses Thema an. Ja, sagt Frau Steinbrück, sie selbst habe lange nachgedacht, warum sich ihr Mann dem gestellt habe. „Es ging uns super gut, wir hatten Freiheit und Freizeit, wir konnten Scrabble spielen, wann wir wollten.“ Dann, kaum sei er Kandidat, „wird er verhauen für das, was er vorher gemacht hat“.

Gertrud Steinbrück ist fassungslos, dass nicht gewürdigt wird, wie sehr ihr Mann sein Wohlergehen, seine Freiheit opfere, und dass niemand für all diese Entbehrungen den idealistischen Antrieb vermute: „Der muss doch etwas bewegen wollen!“ Diese Worte aus ihrem Munde also sind es, die Peer Steinbrück so sehr berühren, dass er seine Gefühle sprachlos offenbart.

Es ist aber auch eine merkwürdige Situation, in der sich der Kanzlerkandidat an diesem Sonntag befindet. Parteikonvent heißt das Gremium, das heute ausnahmsweise öffentlich tagt, eine Art Kleiner Parteitag der SPD. Eigentlich soll es um einen Leitantrag gehen, um zusätzliches Kindergeld, um beitragsfreie Kitas und Krippen. Ein vergnüglicher Sonntag wurde erwartet, mit Potenzial für Steinbrück, endlich einmal zu punkten im tiefen Tal der 27-Prozent-Umfragewerte.

Doch Steinbrück stiehlt Steinbrück die Schau, am Sonnabendabend wird sein öffentlicher Rüffel für Parteichef Sigmar Gabriel bekannt. Im „Spiegel“ geht der Kandidat den Vorsitzenden frontal an. „Nur eine Bündelung aller Kräfte ermöglicht es der SPD, die Bundesregierung und Frau Merkel abzulösen“, sagte Steinbrück: „Ich erwarte deshalb, dass sich alle – auch der Parteivorsitzende – in den nächsten 100 Tagen konstruktiv und loyal hinter den Spitzenkandidaten und die Kampagne stellen.“ Es war die Ausrufung eines längst schwelenden Machtkampfs an der Spitze der SPD.

In dieser Situation gilt der Parteikonvent vielen als Zumutung. Demonstrativ gut gelaunt gibt sich die SPD-Führung, als sie sich um kurz vor 12 Uhr vor dem Tempodrom einfindet. Gabriel und Steinbrück wahren Distanz, während sich der Parteichef an die Seite der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer stellt, umgibt sich der Kandidat mit seiner Ehefrau und Ex-Justizministerin Brigitte Zypries. Nach dem Gruppenfoto, auf dem Weg in die Halle, reißt Steinbrück einen seiner Standard-Scherze: „Das war’s. Ich wünsch euch noch einen schönen Tag!“ Müdes Lächeln.

Es ist undankbar, an solch einem Tag, den Parteikonvent – anders als sonst vor Kameras und Mikrofonen – eröffnen zu müssen. Eigentlich sollte das Manuela Schwesig machen, die Nachwuchshoffnung. Sigmar Gabriel aber weiß um Stimmungen und den Ernst der Lage. So schreitet er ans Pult. Es folgen komische, kabaretthafte Szenen, die sich am besten beschreiben lassen mit dem Gefühl des Fremdschämens. Zuweilen wirkt jeder Satz deplatziert. Kostprobe: Gabriel begrüßt die Steinbrücks, nur wenige spenden daraufhin Beifall. Gabriel kommentiert das so: „Damit es keine Irrungen gibt: Der Beifall galt beiden.“

Doch der SPD-Vorsitzende übertrumpft sich noch selbst: In einer Mischung aus gespielter Empörung und Ironie widmet sich Gabriel „den Medienberichten vom Eheleben von Peer und mir“. Er ruft in den Saal: „Wir dürfen euch versichern: Ja, nicht nur die private, auch die politische Ehe von Peer und mir existiert.“ Allzu gern hätte man gewusst, ob sie funktioniert, aber auch dies würde Gabriel im Zweifel behaupten. Jedenfalls, und das sagt er wirklich, sei jene Ehe „ziemlich lebendig, meistens fröhlich, gelegentlich gibt es Reibungen“. Dann verkündet Gabriel: „Es gibt zwischen uns keine Streitereien.“ Es folgt das generöse Zugeständnis: „Wenn der Kanzlerkandidat mal meint, er müsse den Parteivorsitzenden in den Senkel stellen, dann darfst du das auch.“

Die Wahlkampfstrategen der SPD haben Gabriel und Steinbrück auf dem Podium Seit’ an Seit’ gesetzt. Allein eine Thermoskanne Kaffee trennt die beiden. Wer sie aber beobachtet, bei den Auftritten von Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Olaf Scholz, der ahnt, wie es um ihre politische Ehe wirklich steht. Beide vermeiden jeden Gesprächskontakt, da können die Reden noch so langweilig sein. Gabriel studiert mit wichtigem Gesichtsausdruck Papiere, Steinbrück isst etwas. Wie wohltuend dagegen wirkt Gertrud Steinbrück! Sie ist die heimliche Heldin des Tages. Zur Kanzlerkandidatur sagt die Frau des Kandidaten, sie denke nicht über eine Niederlage nach. Es gelte: „Jetzt wird das Ding auch durchgezogen.“