Der frühere Außenminister Joschka Fischer über Massenproteste auf der Straße

Hamburg. Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hat vor einer Isolation der Türkei in Europa gewarnt. „Die Türkei ist eine große Erfolgsgeschichte der europäischen Erweiterungspolitik“, sagte Fischer bei einer Veranstaltung der Mittelstandsinitiative Unternehmer Positionen Nord in Hamburg. Mit dem Kandidatenstatus als potenzielles EU-Mitglied hätten überhaupt erst die Reformen in der Türkei begonnen – mit großen institutionellen Konsequenzen wie etwa im Strafrecht oder bei der Rolle des Militärs. „Da haben Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei AKP große Verdienste“, sagte Fischer, der von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler im Kabinett von Gerhard Schröder (SPD) war. Zudem sei die Türkei wirtschaftlich „ein unglaublicher Faktor – auch sicherheitspolitisch in der Region“.

Das aggressive Verhalten der Polizei gegenüber den Protestlern rund um den Istanbuler Gezi-Park verurteilte Fischer scharf: „Ich glaube, Erdogan hat einen Riesenfehler gemacht.“ In einer Situation, in der an den Grenzen des Landes Bürgerkriege wie in Syrien tobten und Instabilität drohe, gehe der Ministerpräsident mit einem „überbrutalen und unverhältnismäßigen Polizeieinsatz“ gegen die Demonstranten vor. „Er überreagiert völlig und reagiert falsch“, sagte Fischer. „Dennoch, aus meiner Sicht wäre es ein doppelt strategischer Irrtum, die Türkei jetzt allein zu lassen.“ Das heiße nicht, dass man nicht mit Nachdruck auf Rechtsstaat und Verhältnismäßigkeit dränge.

Fischer sagte, die jungen Leute seien Ausdruck einer erfolgreichen Modernisierung. „Das ist die Generation Erdogan, die sich gegen Erdogan richtet.“ Die Situation sei für ihn vergleichbar mit der im Mai 1968 in Frankreich: „Wenn auch etwas anders, aber auch gegen eine Vaterfigur, damals Charles de Gaulle – eine überragende Figur im 20. Jahrhundert in der französischen und europäischen Politik, der Weltpolitik.“

Fischer hatte sich 2005 aus der aktiven Politik zurückgezogen und 2006 eine einjährige Gastprofessur für internationale Wirtschaftspolitik an der Princeton University in den USA übernommen. 2007 gründete er seine eigene Beraterfirma. Fischer betonte, dass es unklug wäre, die Türkei „abzuschreiben“. Ohne die Türkei habe Europa „ernsthafte Probleme“, im gesamten kaspischen Raum, im Nahen und Mittleren Osten etwas zu bewegen. Fischer sagte, er wundere sich, „wenn mancher CSU-Politiker, vorneweg dieser famose Generalsekretär“, von autoritärem Verhalten in der Türkei spreche. „Das sagen die Richtigen.“