Zur Euro-Rettung müssen eventuell die EU-Verträge geändert werden, glaubt das Bundesverfassungsgericht. Das würde die Krisenpolitik verzögern

Karlsruhe. Die Europäische Zentralbank (EZB) muss im Streit über ihre Euro-Rettungspolitik engere Grenzen für ihre Handlungsfreiheit fürchten. Bei der Verhandlung über Verfassungsklagen gegen das EZB-Anleihe-Kaufprogramm brachte der Präsident des Bundesverfassungsgesetzes, Andreas Voßkuhle, die Möglichkeit ins Spiel, den Auftrag der Notenbank weiter zu regeln als bisher im EU-Vertrag.

„Ist das eine sinnvolle Strategie, darüber nachzudenken, oder braucht man doch mehr Freiraum?“, fragte Voßkuhle bei der Anhörung in Karlsruhe. EZB-Direktor Jörg Asmussen und Bundesbankpräsident Jens Weidmann gaben gegensätzliche Antworten. Asmussen warnte das Gericht vor einer Debatte, das Mandat der EZB zu ändern. Weidmann plädierte dafür, den Freiraum der EZB aus Sorge um ihre Unabhängigkeit zu begrenzen.

Allerdings könnte das Bundesverfassungsgericht eine Mandatsänderung der EZB nicht alleine durchsetzen. Dies könnte nur durch eine Änderung des EU-Vertrages in allen 27 Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Asmussen gab zu bedenken, dass fast allen anderen Euro-Staaten das Staatsfinanzierungsverbot für die Notenbank nicht so wichtig sei wie Deutschland.

Am zweiten Verhandlungstag stellten die höchsten deutschen Richter erneut die Euro-Rettungspolitik der EZB auf den Prüfstand. Das Verfassungsgericht will ergründen, inwiefern das EZB-Programm für einen unbegrenzten Anleiheaufkauf gegen Grundgesetz und EU-Vertrag verstößt. Die Kläger führen an, die EZB bürde Deutschland unabsehbare Risiken auf. Nach den Worten von Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn könnte sich das potenzielle Volumen für Anleihekäufe auf dreieinhalb Billionen Euro belaufen. Der Wirtschaftsprofessor rechnet dabei aber sämtliche Anleihen von Krisenländern einschließlich Frankreich dazu, obwohl die EZB nur Staatspapiere mit bis zu drei Jahren Laufzeit kaufen würde.

Im Zentrum der Klagen steht die Ankündigung der EZB vom September 2012, unter bestimmten Bedingungen unbegrenzt Staatsanleihen verschuldeter Krisenstaaten zu kaufen. Asmussen und Weidmann hatten am ersten Tag die gegensätzlichen Positionen von EZB und Bundesbank vertreten. Die EZB begründet ihr mögliches Eingreifen damit, nur so ihre Zinspolitik wirksam halten zu können. Die Bundesbank sieht dagegen die Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung überschritten und fürchtet, die EZB könne die Inflation nicht im Zaum halten.

Die Möglichkeit einer EU-Vertragsänderung nahm keiner der acht Richter in den Mund. Doch kreisten ihre Gedanken erkennbar darum, wie die von der EZB geplanten Voraussetzungen für das Kaufprogramm rechtsverbindlich gemacht werden können. Denn die Notenbank will eine Rechtsgrundlage für die Anleihekäufe erst verabschieden und bekannt machen, wenn der Markteingriff kurz bevorsteht. Sie will so möglichst wenig berechenbar bleiben, weil somit Spekulationen auf EZB-Anleihekäufe im Zaum gehalten würden.

IWF-Chefin Lagarde lobte, die EZB habe für wirtschaftliche Stabilität gesorgt

Zu den Kriterien gehören die Begrenzung der Laufzeiten von Anleihen auf drei Jahre, ein Rettungspaket mit dem Rettungsfonds ESM, strikte Auflagen zur Haushaltssanierung und eine Sperrfrist. Sie regelt, dass frisch ausgegebene Anleihen erst mit Verzögerung vom Markt gekauft werden können. Damit würde verhindert, dass es zu einem verbotenen Kauf von Anleihen direkt vom staatlichen Schuldner kommt. Die Richter gaben nicht zu erkennen, wie ihr Urteil ausfallen könnte. Doch sie fragten die Experten auch, ob die OMT-Leitlinien nicht noch verschärft werden könnten, um die Geldpolitik und die Fiskalpolitik streng zu trennen.

Der als Gutachter geladene Chef des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, äußerte ähnliche Vorbehalte wie die Bundesbank. Die Gefahr sei groß, dass die EZB immer stärker von Anliegen der Finanzpolitik dominiert werde und in Konflikt mit ihrem obersten Ziel gerate, für Preisstabilität zu sorgen.

Schützenhilfe für die EZB kam aus Washington vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Dessen Chefin Christine Lagarde sagte der „Süddeutschen Zeitung“, ohne die Zusicherung von EZB-Präsident Mario Draghi, notfalls Anleihen von Euro-Krisenländern in unbegrenzter Höhe zu kaufen, „gäbe es heute in der ganzen Euro-Zone wirtschaftliche Stagnation, höhere Arbeitslosigkeit und noch mehr soziale Spannungen“. Rainer Brüderle, der Chef der FDP-Bundestagsfraktion, meinte hingegen in Aussagen von Gerichtspräsident Voßkuhle einen „Warnschuss“ an Draghi zu erkennen und bekräftigte seine Forderung nach einem stärkeren Gewicht der Bundesbank im EZB-Rat.

Ein Urteil in dem Verfahren ist erst in einigen Monaten zu erwarten. Bei einem Nein befürchten viele Experten eine Eskalation der Schuldenkrise. Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer glaubt nicht daran: „Ich gehe davon aus, dass das Gericht pragmatisch entscheiden wird, der EZB keine Steine in den Weg legen wird und keine neue Finanzkrise heraufbeschwören möchte.“