Mitgliederbefragung: Die Grünen-Basis setzt im Wahlkampf andere Akzente als die Parteiführung

Berlin. Jürgen Trittin lächelt alle Bedenken weg. Warum haben nur 16.270 der rund 61.000 Grünen-Mitglieder über die neun Kernprojekte für den Wahlkampf abgestimmt? Schließlich sollte der Mitgliederentscheid auch klären, was die Grünen bei den erwünschten Koalitionsverhandlungen im Herbst als Erstes mit dem Wunschpartner SPD verabreden wollen. Könnte man da nicht erwarten, dass mehr als 26,7 Prozent der Mitglieder den Wahlzettel ausfüllen, wenn dieser auch mit 58 bereits vom jüngsten Parteitag beschlossenen Schlüsselforderungen eng bedruckt war.

Glauben so wenige Grüne an einen rot-grünen Wahlsieg, dass die meisten gar nicht erst mitmachten? Trittin sagt: „Mein Eindruck ist, dass 16.000 ungefähr 1000-mal so viel sind wie 16 Leute im Kanzleramt, die das CDU-Programm schreiben.“

Das Programm, das Trittin meint, ist zwar weder von der CDU, sondern von CDU und CSU, noch wird es im Kanzleramt von 16 Leuten geschrieben, sondern am 23. und 24. Juni von den Spitzengremien der Schwesterparteien an verschiedenen Berliner Orten fertiggestellt. Richtig aber ist: Keine der im Bundestag vertretenen Parteien hat so viel Basisaufwand mit einer regulären Mitgliederbefragung betrieben wie die Grünen.

Die SPD hat zur Bundestagswahl den größten Werbeetat von allen Parteien

Die Union hat allerdings Basis und Bürger per Internet eingebunden. Und sie verteidigt ihr traditionelles Vorgehen, als Einzige keinen Parteitag fürs Programm zu machen: Es werde ja ein Programm für zwei Parteien. Doch dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jetzt im Wahlkampf noch frei ist, schöne Dinge wie eine Mietpreisbremse, Mütterrente, Frauenquote und ein höheres Kindergeld vorzuschlagen, kann einen schon mal ärgern, wenn man grüner Spitzenkandidat ist.

Sind es wenige, die mitgemacht haben bei den Grünen? Und ist es nicht seltsam, dass die finanziellen Kernforderungen nach höheren Steuern für Wohlhabende und Entlastungen für die, die weniger verdienen, es nicht unter die wichtigsten Themen geschafft haben? „Enttäuscht bin ich von meiner Partei überhaupt nicht“, sagt Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Sie lasse sich nicht einreden, dass die Sache kein Erfolg war, meint Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. Immerhin hätten vier Fünftel der Kreisverbände landauf, landab in Veranstaltungen mitdiskutiert.

Und das Ergebnis zeigt auch wieder so etwas wie die Weisheit der Basis. Das schrieben Kommentatoren den Mitgliedern schon zu, als die Grünen im November das Resultat der Urwahl des Spitzenduos bekannt gaben: mit Trittin der starke Stratege der Grünen, mit Göring-Eckardt die in der politischen Mitte sympathisch wirkende Grüne, wie es damals oft hieß.

Mit Ökostrom pur, einem Zurückdrängen von Riesenställen, mit einem Mindestlohn, der Bürgerversicherung und mehr Kita-Plätzen haben grüne Kernanliegen gewonnen. Die Steuerpläne scheinen die Basis nicht zu bewegen. Und wie sieht es mit der Mobilisierungskraft der SPD aus? So ganz alleine werden die Grünen kaum regieren können, und mit Union oder Linken wollen sie nicht. Trittin belässt es bei einem Satz dazu: „Wir sind besser mobilisiert als alle anderen Parteien.“

Für Werbung in ihrem Wahlkampf haben die Grünen 5,5 Millionen Euro zur Verfügung. Die SPD hat den größten Etat. Karsten Göbel von der Agentur Super J+K bezifferte ihn am Mittwoch auf 23 Millionen Euro. Für die CDU beläuft er sich nach Angaben von Lutz Meyer (Blumberry) auf maximal 20 Millionen Euro. Bei der FDP seien es für die Wahlen vier Millionen Euro, sagte Armin Reins (reinsclassen). Die Linke verfüge über etwa 4,5 Millionen Euro, sagte Volker Ludwig (DiG/Plus). Für die Piraten bezifferte Salomon Reyes den Etat auf etwa 400.000 Euro. Die Agenturvertreter äußerten sich im Rahmen einer Wahlkampf-Konferenz.