EZB muss vor Bundesverfassungsgericht das Krisenmanagement rechtfertigen. Schäuble: Richter sind nicht zuständig

Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat die Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisch hinterfragt. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle stellte zum Auftakt des entscheidenden Verfahrens nicht die Frage, „ob“, sondern „inwieweit“ die EZB Kompetenzen beanspruche, die ihr nicht übertragen worden seien. Die Kläger sehen durch das potenziell unbegrenzte Kaufprogramm für Staatsanleihen kriselnder Euro-Staaten das Mandat der EZB überschritten. Finanzminister Wolfgang Schäuble betonte, die Bundesregierung könne das nicht erkennen. Die Klagen seien unbegründet. Zudem bezweifelte der CDU-Politiker, ob das Verfassungsgericht überhaupt zuständig sei.

Schäuble erklärte, das deutsche Gericht könne überhaupt nicht über die Politik der EZB – also einer unabhängigen europäischen Institution – urteilen. Zugleich verteidigte er die Zentralbank: „Die Bundesregierung sieht keine Anzeichen dafür, dass die Maßnahmen der EZB ihr Mandat verletzten. Und deshalb halten wir die Klagen für nicht zulässig.“ Im Fall einer Mandatsüberschreitung werde die Regierung allerdings nicht zögern, die EZB vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen.

Voßkuhle sagte, die Klagen würfen „schwierigste Rechtsfragen“ auf, da die EZB alleine dem Recht der Europäischen Union verpflichtet, der Maßstab für sein Gericht aber das Grundgesetz sei. „Hier wird zu klären sein, inwieweit die Europäische Zentralbank Kompetenzen in Anspruch nimmt, die nicht übertragen worden sind und von Verfassungs wegen auch nicht übertragen werden durften.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in Berlin mit Blick auf die Euro-Rettungspolitik, es sei im Interesse der deutschen Exportwirtschaft, dass es Europa gut gehe. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn der gesamte europäische Wirtschaftsraum wieder auf die Beine komme. Der Rechtsprofessor Dietrich Murswiek, Prozessvertreter des CSU-Politikers und Beschwerdeführers Peter Gauweiler, erklärte in Karlsruhe, er hoffe auf eine klare Entscheidung der Richter. „Jetzt hilft kein ,Ja-aber’ mehr. Jetzt ist ein klares Nein gefordert.“

Bisher hatte das Gericht bei Klagen gegen die Anti-Krisenpolitik immer grünes Licht gegeben, aber Schranken gesetzt. So auch bei den Klagen gegen den Euro-Rettungsschirm ESM, der im September schon per Eilentscheidung durchgewinkt worden war. Die Richter erlaubten die Ratifizierung des ESM-Vertrages unter der Bedingung, dass die Haftungsobergrenze für Deutschland von 190 Milliarden Euro nicht gegen den Willen des Bundestages erhöht werden kann.

In dem weltweit beachteten Verfahren werden bis Mittwoch zahlreiche Beschwerdeführer und viele Sachverständige erörtern, ob die umstrittenen EZB-Maßnahmen gegen Grundgesetz und EU-Vertrag verstoßen. Die Kläger führen an, die Zentralbank bürde Deutschland unabsehbare Verlustrisiken auf. Dadurch werde die in der Verfassung verankerte Haushaltshoheit des Bundestages verletzt. Auch überschreite die EZB ihr Mandat, für stabile Preise zu sorgen. Es komme vielmehr zu einer im EU-Vertrag verbotenen direkten Staatsfinanzierung.

Ein Streitpunkt in der Anhörung war, ob eine Klage überhaupt möglich ist gegen die bloße Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi, zur Rettung des Euros notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Verfassungsrichter Peter Huber warf die Frage auf, ob noch genug Zeit sei für rechtliches Eingreifen. EZB-Direktor Jörg Asmussen, der die Delegation der EZB anführt, erläuterte, die EZB könne „sehr, sehr schnell“ handeln – doch der Beschluss der Euro-Staaten zu einem ESM-Rettungsprogramm dauere länger.

Die Richter bombardierten Asmussen mit vielen Fragen zu neuen möglichen Krisenszenarien. Für einen ungewollten Lacher sorgte Voßkuhle, als er Asmussen mit den Worten „Vielen Dank, Herr Weidmann“ entließ. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sprach nach Asmussen – er vertritt die Gegenposition. Asmussen hatte schon am Montag in der „Bild“-Zeitung das Gericht gewarnt, mit einer Entscheidung gegen die EZB eine Eskalation der Krise auszulösen. Der frühere Staatssekretär verteidigte das Eingreifen der Notenbank, weil Gefahr im Verzug ist: Die Notenbank habe handeln müssen, um ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zu verhindern.

Voßkuhle wollte das Argument der EZB nicht gelten lassen, schon die Ankündigung der Anleihekäufe habe zur Beruhigung der Krise beigetragen. Bei der juristischen Bewertung spiele es keine Rolle, ob die Praxis erfolgreich sei. Die Einhaltung der Grundrechte könne sich nicht nach tagespolitischen Einschätzungen richten.