Studie: Je geringer der soziale Status, desto geringer das Interesse an der Politik

Gütersloh. Die Wahlbeteiligung in Deutschland sinkt, doch die Zufriedenheit mit der Demokratie und dem politischen System steigt. Zu diesem widersprüchlichen Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann Stiftung und des Instituts für Demoskopie Allensbach. Danach verabschieden sich vor allem einkommensschwache und bildungsferne Teile der Bevölkerung zunehmend aus der aktiven Teilhabe an Demokratie. Zugleich werden die Deutschen von Jahr zu Jahr zufriedener mit der Demokratie. Wahlenthaltung geschehe jedoch weniger aus Frust und Protest, fanden die Wahlforscher heraus. Stärkste Ursache für Wahlmüdigkeit sei vielmehr Gleichgültigkeit — je geringer der Sozialstatus und je größer das politische Desinteresse im Freundeskreis, desto weniger wahrscheinlich wird der Gang zur Wahlurne.

Bis Mitte der 80er-Jahre gaben noch rund 90 Prozent aller Wahlberechtigten bei Bundestagswahlen ihre Stimme ab. Danach brach die Wahlbeteiligung ein: bis zum historischen Tiefstand von knapp über 70 Prozent bei der vergangenen Wahl. „Wir haben keinen Politik- oder Demokratieverdruss“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. „Wir erleben aber eine zunehmend sozial gespaltene Demokratie.“ Während 68 Prozent aus der oberen Schicht sagen, sie werden auf jeden Fall wählen gehen, sind es in der unteren Schicht nur 31 Prozent.

Ein weiterer Trend drückt die Wahlbeteiligung: Wählen gilt im Unterschied zu früheren Jahren nicht mehr als staatsbürgerliche Pflicht. Desinteresse an Politik mündete daher früher nicht in Wahlenthaltung. Heute sagen jedoch 76 Prozent der unter 30-Jährigen, ihre Freunde hätten Verständnis dafür, wenn sie nicht zur Wahl gingen. Die verlässlichsten Wähler sind heute die über 60-Jährigen, während in der Erst- und Neuwählergeneration der unter 30-Jährigen die Wahlwahrscheinlichkeit deutlich sinkt. Auch wenn das Interesse an Politik mit dem Alter steige — die Wahlbereitschaft der Erstwähler sei ein klarer Indikator dafür, wie aktiv sich die jeweilige Generation später beteilige. „Ist die Politisierung einer Generation in jungen Jahren niedrig, ist das kaum noch aufzuholen. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Wahlbeteiligung auf lange Sicht weiter sinken wird“, sagt Dräger.

Während die Wahlen an Bedeutung verlieren, wächst die allgemeine Zufriedenheit mit der Demokratie, vor allem in Ostdeutschland. 2003 waren erst 47 Prozent der Bürger im Osten mit dem politischen System zufrieden, heute sind es 74 Prozent. Im Westen stieg der Wert von 72 auf 84 Prozent. Lediglich elf Prozent der Bundesbürger geben an, mit der Demokratie unzufrieden zu sein. Zehn Jahre zuvor sagten das noch nahezu dreimal so viele (29 Prozent).

Entgegen der landläufigen Meinung erkennt eine wachsende Mehrheit der Bürger (65 Prozent) durchaus große Unterschiede zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien. 24 Prozent sagen, die Parteien seien im Grunde alle gleich. Zu Beginn der 1990er-Jahre sagten das noch 31 Prozent. Es wächst der Anteil derjenigen Bürger, die die Politik schwer nachvollziehbar und undurchsichtig finden.