FDP und Industrie rebellieren gegen Angela Merkels Wahlprogramm

München/Hamburg. Rente, Mieten, Steuern — der Bundestagswahlkampf wird über das Portemonnaie der Bürger geführt und nimmt gut drei Monate vor dem Urnengang an Heftigkeit zu. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) griff erstmals direkt die Steuerpläne von SPD und vor allem die der Grünen an. Das widerspricht ihrer bisherigen Strategie, den politischen Gegner totzuschweigen. Allerdings muss sie sich auch der Attacken des Koalitionspartners erwehren. Die FDP geht zentrale Vorhaben Merkels nicht mit.

Zum Beispiel bei der Mütterrente: Die CDU will die geplante Anhebung für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, aus der Rentenversicherung und nicht aus dem Bundeshaushalt bezahlen. Sowohl Bundeskanzlerin Merkel als auch Finanzminister Wolfgang Schäuble betonten, sie sähen in der Rentenversicherung Spielräume. Die zuständige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sagte: „Die Rentenkasse ist übervoll.“ Schäuble sagte der „Leipziger Volkszeitung“, die Anhebung ließe sich aus der Rentenkasse finanzieren: „Ob das 2014 noch möglich ist, müssen Sie die Arbeitsministerin fragen.“

Von der Leyen betonte im Deutschlandfunk, dass die Spielräume in der Rentenversicherung durch den Steuerzuschuss des Bundes und die gute Beschäftigungslage vorhanden seien. Dies sei auch mit der Spitze der Rentenversicherung abgeklärt worden.

Allerdings steckt dahinter der Trick, dass der Bundeshaushalt zwar spart, weil kein allgemeines Steuergeld für die neue Mütterrente gebraucht wird. Arbeitnehmer und Unternehmer werden aber belastet, weil sie die Beiträge in die Rentenkasse zahlen. Muss die Rentenversicherung auch noch diese neue Leistung finanzieren (die nicht zu ihren ureigenen Aufgaben gehört), schmelzen die Reserven noch schneller.

Durch das Finanzpolster war es zuletzt möglich, den Rentenbeitrag noch weiter abzusenken und Bürger wie Unternehmen zu entlasten. Nach Meinung von Experten kosten die Unionspläne für die neue Mütterrente bis zu 7,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Opposition kritisiert, dass für die Pläne die Rentenversicherung genutzt werden soll. „Wenn Frau Merkel auf die Rücklagen der Rentenversicherung zurückgreifen will, dann sind diese binnen weniger Jahre komplett aufgebraucht“, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt der Nachrichtenagentur Reuters. „Auch das wäre unsolide.“ Göring-Eckardt warf der Union vor, dass auch die anderen Wahlversprechen nicht gegenfinanziert seien. Das sieht auch die Industrie so.

Den Grünen hatte Merkel bei einer Veranstaltung der Frauen-Union in München „Geiz-Diskussionen“ vorgeworfen. „Wenn einer was hat, muss er gleich wieder was hergeben“, kritisierte Merkel. Ziel müsse sein, ein Klima zu schaffen, in dem Menschen Lust hätten, Unternehmen zu gründen. Daraus entstünden Arbeitsplätze. „Ich will jedenfalls für die deutsche Wirtschaft keine Steuern erhöhen.“

Die Grünen starteten am Wochenende den ersten Mitgliederentscheid zum Wahlprogramm. Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, die Menschen seien bereit für den grünen Wandel und für mehr Gerechtigkeit. Die Ergebnisse liegen am Mittwoch vor.

Göring-Eckardt sagte, es werde für die Kanzlerin keinen lauen Sommer und kein Sommermärchen geben. Die wirtschaftlichen Erfolge des Landes seien alles andere als gerecht verteilt. Die Grünen machten Klientelpolitik für die Ärmsten und nicht für Konzerne und Hoteliers. Neben dem Schuldenabbau sei mehr Geld für Schulen, Kitas und Kommunen nötig. Nach den Plänen soll der Spitzensteuersatz bei 60.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen auf 45 Prozent verlängert werden, um mit 80.000 Euro bei 49 Prozent zu liegen. Zugleich soll der Grundfreibetrag auf mindestens 8700 Euro angehoben werden. Trittin sagte, die Kritik am grünen Steuerkonzept sei bizarr: „Da kostümieren sich Milliardäre plötzlich als der Mittelstand in Deutschland.“

Merkel wies in München auch den Vorwurf zurück, sie habe von der SPD den Vorschlag der Mietpreisbremse abgekupfert. Es sei auch nicht wahr, dass CDU und CSU „immer nur die Dinge machen, die nett sind“, sagte Merkel und verwies auf die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre und die Schuldenbremse.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nannte die CDU-Pläne heuchlerisch. FDP-Generalsekretär Patrick Döring bekräftigte das Nein der Liberalen dazu, älteren Müttern höhere Renten zu zahlen. Die Union habe immer noch nicht erläutert, „wie sie die zweistelligen Milliardenbeträge, die die Mütterrente kosten würde, finanzieren will“, sagte Döring der „Saarbrücker Zeitung“.

Aus der Wirtschaft kam ebenfalls Kritik an den kostspieligen Plänen der Union. „Ich finde die teuren Wahlversprechen nicht gut“, sagte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, dem „Focus“.

Grillo warnte, trotz Rekordsteuereinnahmen habe der Bund immer noch zwei Billionen Euro Schulden. „Wahlgeschenke sind da nicht drin.“