Ein Helfer der mutmaßlichen Terrorzelle enthüllt Details aus dem Innenleben des NSU und über Beate Zschäpe. Die Bundesanwaltschaft dürfte nicht viel Freude an ihren beiden Kronzeugen haben.

München/Erfurt. Der eine erinnert sich nicht mehr. Sein Leben als Neonazi kann er „nicht mehr herstellen“ – so hatte Carsten S. die klaffenden Lücken in seinen Angaben entschuldigt. Der andere weiß zwar noch alles, will aber keine Ahnung gehabt haben vom „Warum“ und Wozu“. Warum überließ er Uwe Böhnhardt seinen Reisepass, wozu sollte jene scharfe Waffe dienen, die er dem Zwickauer Trio überbrachte? „Für mich war es damals selbstverständlich, meinen Freunden zu helfen“, sagt Holger Gerlach an Tag sieben des NSU-Prozesses. Ein Kameradschaftsdienst. „Sie gaben mir das Gefühl, eine gute Tat zu begehen.“

Aber nie hätte er es für möglich gehalten, „dass die drei Gewalttaten in diesem Ausmaß begehen“. Behauptet er. Die Tränen steigen dem 39-Jährigen in die Augen. Er atmet schwer.

Die Bundesanwaltschaft dürfte nicht viel Freude an ihren beiden Kronzeugen haben. S., 33, hatte als Erster der fünf Angeklagten im Prozess geredet. Für diese Bereitschaft ist er, wie Gerlach auch, im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamts untergekommen. S. konnte oder wollte dann aber vor Gericht partout nicht sagen, was er sich denn dabei gedacht hatte, eine Schusswaffe samt Munition und Schalldämpfer an gewaltbereite Rechtsextremisten zu übergeben.

Nun soll also der zweite Angeklagte, der eine Waffe überbrachte, aussagen. Und schon gibt es einen weiteren Rückschlag: Holger Gerlach, in Jena geboren und 1997 nach Hannover übergesiedelt, will keine Fragen „zur Sache“ beantworten. Nur eine vorgefertigte Erklärung will er verlesen. Das bringt Richter Manfred Götzl sichtlich aus der Fassung, er kommt ein bisschen ins Stammeln: „Ja, aber, ich würde Ihnen dann schon gern noch ein paar Fragen stellen“, sagt Götzl, der sich S. am Vortag hart zur Brust genommen hatte. Gerlach und seine Anwälte bleiben unnachgiebig.

Dabei fußt die Anklage zum Großteil auf Gerlachs Aussagen: Er hatte den Ermittlern das Leben des Trios geschildert, von den jährlichen Treffen erzählt und die entscheidende Charakterisierung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe geliefert: Die sei „Herrin des Geldes gewesen“, gleichberechtigtes Mitglied des Trios, ehrgeizig und „wie eine Ehefrau mit zwei Männern“. Daraus strickte die Bundesanwaltschaft das Bild der ebenbürtigen Terrorverdächtigen, die sogar wegen Mordes angeklagt wird. Stets beteuerten die Bundesanwälte zuletzt, dass sie Zschäpe eben nicht als Hausfrau und „Katzenmama“ abtun – eben aufgrund der Vernehmungen von Holger Gerlach.

Aber so konkret sagte Gerlach das nur vor den BKA-Beamten und den Staatsanwälten aus, nicht jetzt im Gerichtssaal A101. Richter Götzl hatte sich das anders vorgestellt. Gerlach gibt ihm zwar in hastiger Sprechweise Auskunft über Lebenslauf, Familie, Ausbildung, Drogenkonsum oder Spielsucht. Für das wirklich Interessante hat Gerlach aber mit seinen Anwälten Formulierungen zurechtgezirkelt.

Spannend wäre es vor allem geworden, wenn Gerlach sich von den Verteidigern und den Nebenklägern hätte befragen lassen. Gerlachs Anwälte schließen nicht aus, dass es dazu noch kommt. Doch bisher will sich der Angeklagte der Situation nicht stellen. Kein Wunder: Zschäpes Anwälte werden alles daransetzen, Gerlachs Glaubwürdigkeit und seine Angaben in Zweifel zu ziehen. Und diverse Nebenkläger merkten bereits nach seiner Verlesung an, dass sie ihm nicht glauben. „Auch er hat versucht, jede Verantwortung für Gewalttaten zu verneinen, wie schon Carsten S. Meine Mandanten glauben ihm das nicht“, sagte Sebastian Scharmer, der die Angehörigen des in Dortmund getöteten Kioskbesitzers Mehmet Kubasik vertritt. Immerhin habe Gerlach die Taten gestanden. „Damit hat er Beate Zschäpe und auch Ralf Wohlleben schwer belastet.“

Gerlach gab zu, die Gruppe in vielfältiger Weise unterstützt zu haben: Er überließ Uwe Böhnhardt, dem er mit seiner schlanken Gestalt, dem blonden Haar, dem kantigen Gesicht ähnlich sieht, seinen Reisepass, sogar den Führerschein. Für Beate Zschäpe, die Unterleibsschmerzen hatte, organisierte er eine Krankenkassenkarte. „Sie tat mir leid“, gesteht in seiner Erklärung. Einer Freundin quatschte er für 300 Euro die Karte ab und versicherte ihr, dass damit „kein Unsinn“ getrieben werde – so wie es Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ihm immer wieder versichert hätten. „Ich habe ihnen vertraut und geglaubt“, sagt der gelernte Zerspanungsmechaniker.

Böhnhardts Mutter hoffte, die Untergetauchten würden zurückkehren

2000 oder 2001 beförderte er nach eigenen Angaben dann von Ralf Wohlleben einen Stoffbeutel zu den in Zwickau Untergetauchten. Zschäpe habe ihn am Bahnhof abgeholt, und in der Wohnung habe einer der Uwes dann in seiner Gegenwart aus dem Beutel eine Pistole genommen und durchgeladen. „Was soll der Scheiß?“, habe er empört gesagt. In einem Verhör mit dem Bundesanwalt kommentierte er seine damaligen Gedanken mit dem denkwürdigen Satz: „Man kann doch nicht mit fünf Leuten die Welt retten.“ Diese Zahl sei „rein willkürlich“ gewählt gewesen und solle mitnichten andeuten, dass er sich je zu der Gruppe gerechnet habe. „Ich hatte nie den Eindruck, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu unterstützen“, versichert Gerlach und ringt wieder um Fassung. „Dass ich dies getan habe, tut mir fürchterlich leid.“ Er ist damit der erste Angeklagte, der sich bei den Opfern entschuldigte.

Unterdessen hat die Mutter des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt dem Thüringer Untersuchungsausschuss ihr tiefes Misstrauen gegen die Polizei geschildert. Sie glaube inzwischen sogar nicht mehr, dass in einer der am 26. Januar 1998 in Jena durchsuchten Garagen wirklich Sprengstoff gefunden wurde, sagte Brigitte Böhnhardt.

Die Ermittler hatten dabei nach offiziellen Angaben in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage anderthalb Kilogramm des militärischen Sprengstoffs TNT sichergestellt. Deshalb hat Böhnhardts Mutter nie erwogen, die Ermittler zu den Flüchtigen zu führen. „Als Eltern haben wir immer gehofft, dass sie zurückkommen.“ Bis Frühjahr 2002 hatten sich die Eltern mehrfach unter konspirativen Umständen mit dem Trio getroffen.