Der FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle plant, den Zuschlag auf die Einkommenssteuer zu streichen und stichelt gegen den Koalitionspartner Union.

Hamburg. Angriffslustig war Rainer Brüderle ja schon immer. Der Fraktionschef der FDP im Bundestag und Spitzenkandidat der Liberalen im Bundestagswahlkampf kann links wie rechts. Als Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz arbeitete er jahrelang in einer Koalition mit Minister-präsident Kurt Beck (SPD). In der Bundesregierung saß er neben Angela Merkel (CDU) am Kabinettstisch. Jetzt will Brüderle die FDP wieder über die Fünfprozenthürde wuchten und verspricht für die kommende Legislaturperiode eine große Entlastung der Steuerzahler.

Hamburger Abendblatt: Herr Brüderle, im Wahlprogramm der FDP stand einmal unter der Rubrik Steuern: einfacher, niedriger, gerechter. Warum soll man die Liberalen noch wählen, wenn es diese Anreize nicht mehr gibt?

Rainer Brüderle: Wir haben die Bürger bereits um 22 Milliarden Euro entlastet. Die Rentenbeiträge wurden gesenkt, das Kindergeld erhöht, die Praxisgebühr abgeschafft. Wir wollten noch bei der kalten Progression die Mitte stärker entlasten. Das hat Rot-Rot-Grün im Bundesrat blockiert.

Die Opposition macht Wahlkampf mit dem Versprechen, die Steuern für Spitzenverdiener zu erhöhen und Normalverdiener zu entlasten, angeblich 90 Prozent der Deutschen. Da ist Ihnen Konkurrenz erwachsen.

Brüderle: Das ist nicht wahr und außerdem unredlich. Bei den Vorschlägen von Rot-Grün sind sie schon mit 3700 Euro Monatseinkommen dabei und werden stärker steuerlich belastet. Das ist ein Anschlag auf die Mitte. Selbst der Bäckermeister im Innenstadtbereich müsste nach den Plänen von Rot-Rot-Grün Vermögenssteuer und eine Vermögensabgabe zahlen. Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode den Solidarzuschlag auf die Einkommenssteuer schrittweise abschaffen, sodass er 2019 ganz weg ist. Der Soli verschwindet sowieso im allgemeinen Haushalt und ist keine Maßnahme mehr, um gezielt den Aufbau in den neuen Bundesländern zu finanzieren. Er ist ohnehin technisch befristet und muss abgeschafft werden. Das wollen wir in der nächsten Legislaturperiode anpacken. Außerdem werden wir darauf achten, dass im Haushalt die schwarze Null steht.

Glauben Sie, dass die Wähler das mit einer Stimme für die FDP honorieren?

Brüderle: Der Bürger werden sich von Rot-Rot-Grün nicht veräppeln lassen. Jeder kann sich ausrechnen, wie Trittin, Gabriel und Steinbrück ihn zusätzlich belasten wollen. Die SPD vertritt schon lange nicht mehr die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Und das Programm der Grünen besteht aus Steuern und Verboten. Die FDP wird ein gutes Ergebnis erzielen.

CDU und FDP geraten durch die sogenannte Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland (AfD) stark unter Druck. FDP-Abgeordnete in den Ländern sind sogar schon zur AfD übergelaufen. Wie reagieren Sie darauf?

Brüderle: Es gibt bei dieser Protestpartei auch viele Schnittmengen mit den Linken. Man muss die Sorgen vieler Menschen um die Stabilität der Währung ernst nehmen. Es reicht aber nicht, sich „Alternative“ zu nennen, wenn man keine Antworten bietet. Der Weg zurück zur D-Mark wäre teuer und fatal für Deutschland. Die FDP kämpft deshalb für einen stabilen Euro. Deshalb sind wir für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Deshalb haben wir klare Spielregeln für die Euro-Länder festgelegt. Und deshalb wollen wir die Schuldenbremse für ganz Europa.

Die Euro-Krise ist aber nur ausgesetzt, nicht beendet. Was, wenn Länder wie Spanien oder Frankreich gerettet werden müssen?

Brüderle: Wir haben eine Währungsunion ohne politische Union. Deutschland hat unter Rot-Grün das erste Mal die Defizitgrenze gerissen. Die Architektur der Verträge von Maastricht wurde zerstört. Jetzt bauen wir sie neu. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM gibt uns mehr Mitsprache. Wenn Staaten Hilfe brauchen, dann gibt es ohne unsere Stimme kein Geld. Solidarität ja, aber mit der Verpflichtung, dass der Empfänger die Ursache seiner Misere abstellt. Auch Frankreich muss Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in der Steuerpolitik machen, um seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Jetzt kommt denen der tolle Gedanke, dass man Investitionsausgaben nicht ins Defizit hereinrechnet. Vielleicht kommen die morgen auf die Idee und wollen die Bildungsausgaben nicht beim Defizit berücksichtigen. Die Regeln in der Euro-Rettung müssen aber eingehalten werden!

Eine Regel in Deutschland ist die Fraktionsdisziplin. Einige FDP-Abgeordnete waren Abweichler und haben den Kurs der eigenen Bundesregierung nicht unterstützt.

Brüderle: Die FDP-Fraktion hat bei allen Abstimmungen große Geschlossenheit gezeigt. Aber wir sind keine Kaderpartei. Bei uns wird offen diskutiert. Die FDP hat als einzige Partei eine Mitgliederbefragung zum Thema Euro-Stabilisierung gemacht. Das Votum war eindeutig für den Kurs der Parteiführung. Es ist aber auch klar, dass schwache Länder den deutschen Haushalt nicht als Selbstbedienungsladen sehen können. Nur kann man mit der Rückkehr zur D-Mark, die einige wollen, die Probleme nicht lösen. Wir wollen aber in der Europäischen Zentralbank die Stimmrechte verändern, um Deutschland mehr Einfluss zu geben.

Sehen Sie Ihre Verdienste auch beim Koalitionspartner und von der Bundeskanzlerin ausreichend gewürdigt?

Brüderle: Die Koalition arbeitet gut und erfolgreich zusammen. Sonst stünde Deutschland auch nicht so gut da. Ich stelle mich nicht an die Klagemauer. Die Union wäre ohne die FDP eine andere. Wir korrigieren zur Mitte hin. Wir sind doch das Upgrade der CDU.

Dafür schlucken Sie auch unliebsame Maßnahmen der Familienpolitik wie das Betreuungsgeld?

Brüderle: Das war im Koalitionsvertrag vereinbart. Die FDP ist vertragstreu. Die Praxisgebühr wäre ohne die FDP nicht abgeschafft worden, und den Bundespräsidenten Joachim Gauck gibt es nur wegen der FDP.

Hat Parteichef Philipp Rösler da ein Vabanquespiel veranstaltet, weil Frau Merkel Gauck nicht wollte, die FDP aber darauf bestand, mit SPD und Grünen Gauck durchzusetzen?

Brüderle: Nein. Wir haben eine dezidierte Diskussion geführt und uns für eine Persönlichkeit ausgesprochen, die ihren Lebensweg unter den Begriff der Freiheit gestellt hat. Ich finde, Gauck macht seine Arbeit sehr gut.

Nachgeben müssen Sie als Koalitionspartner demnächst bei der Frauenquote, die die CDU jetzt als feste Quote sogar in künftige Wahlprogramme schreiben will. Warum sträubt sich die FDP bei diesem Thema?

Brüderle: Weite Teile der Union halten eine feste Frauenquote auch nicht für die Lösung. 18 Millionen berufstätigen Frauen ist mit einer Quote auf dem Papier doch weniger geholfen als mit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

In einem Land wie Norwegen ist die Wirtschaft wegen der Frauenquote aber auch nicht langsamer gewachsen.

Brüderle: Auch unserem Land würden mehr Frauen in Führungspositionen guttun. Es geht nur um den richtigen Weg dorthin. Als Liberaler setze ich nicht auf Quoten und Zwänge, sondern auf Chancen und Angebote.

Und was passiert mit der FDP, wenn es nach der Bundestagswahl nicht für Schwarz-Gelb reicht und Frau Merkel mit Jürgen Trittin von den Grünen eine Koalition bildet?

Brüderle: Das wird nicht passieren. Die christlich-liberale Koalition wird bestätigt werden, weil sie erfolgreich arbeitet und weil die Menschen Rot-Rot-Grün nicht wollen. Das wird eine klare Richtungswahl.