Nach der Euro-Hawk-Affäre setzen Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière nun auch Korruptionsermittlungen um angeblich fehlerhafte Waffen bei der Bundeswehr zu.

Berlin. Der Spitzname, den er in Internetforen verliehen bekommen hat, dürfte Thomas de Maizière (CDU) kaum gefallen: „Thomas die Misere.“ Doch momentan spricht viel dafür, dass der Bundesverteidigungsminister seinen Spottnamen so schnell nicht los wird. Im Gegenteil.

Denn nun rückt auch auch noch eines seiner Vorzeigeobjekte, das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), wegen einer mutmaßlichen Korruptionsaffäre um angeblich fehlerhafte Waffen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Erst jetzt wurde durch einen Bericht der „Bild am Sonntag“ bekannt, dass es bei der Koblenzer Behörde im März offenbar eine Durchsuchung gegeben hat, bei der auch Unterlagen sichergestellt worden sein sollen. Dabei geht es um die Beschaffung von Sturmgewehren, die von den Bundeswehrsoldaten beim Einsatz in Afghanistan genutzt werden. Sie sollen beschafft und an die Truppe geliefert worden sein, obwohl bekannt gewesen sei, dass sie gravierende Mängel aufwiesen. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte schon im Januar nach Klagen von Soldaten über die Gewehre eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. In der Antwort hieß es, die Funktionstüchtigkeit sei nur bei „Dauerfeuer“ eingeschränkt, für das die Waffen aber nicht vorgesehen seien.

Noch im April lobte der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Stéphane Beemelmans, bei einem Besuch des BAAINBw dessen „herausgehobene Bedeutung im System Bundeswehr“. „Es zeigt sich, dass de Maizières große Reform weiträumig um dieses Amt in Koblenz herumgefahren ist“, kritisiert hingegen der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. Der Verteidigungsminister habe bei der Behörde nicht nur nichts geändert, sondern ihr sogar noch mehr Verantwortung übertragen.

Dass der gesamte Rüstungsbereich ein großer Moloch ist, mit teils fragwürdigen Verbindungen zwischen Industrie, Politik und auch hohen Beamten, ist für viele ein offenes Geheimnis. De Maizière hatte mit seiner Reform zwar versucht, den Apparat zu entkrusten, allerdings mehr durch strukturelle als durch personelle Veränderungen. Genau darin sehen Kritiker das Problem. „Da arbeiten immer noch die gleichen Leute, die das ganze System vor zehn Jahren haben verkrusten lassen“, heißt es aus Offizierskreisen. „Wenn man den Sumpf trockenlegen will, darf man auch nicht zuerst die Frösche fragen, wie das funktioniert.“

Beemelmans, ein enger Vertrauter de Maizières und seit März 2011 sein Staatssekretär, spielt auch in der Euro-Hawk-Affäre eine Schlüsselrolle. Mitte Mai räumte er bei einem Auftritt vor der Presse ein, bereits seit 2011 gewusst zu haben, dass es bei der Luftraumzulassung für den Euro Hawk massive Probleme geben könne. Unklar ist, ob er auch seinen Chef darüber informiert hat. Fest steht, dass de Maizière im Herbst 2011 entschied, die Beschaffung der Drohne weiter zu betreiben.

Dabei hatte es laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ schon viel früher Alarmsignale gegeben. Das zeigten interne Unterlagen aus der BAAINBw. Schon im Sommer 2009 sollen Prüfer des Bundesamts zum Hersteller, dem Rüstungskonzern Northrop Grumman, nach Kalifornien geflogen sein. Dort wollten sie den Bau jener Drohne überprüfen, deren Beschaffung zwei Jahre zuvor unter dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) beschlossen worden war. Doch Northrop Grumman ließ die Prüfer weder die Herstellung begutachten, noch stellte das Unternehmen ihnen Bauunterlagen zur Verfügung. Beim Test des Kraftstoffsystems soll den Gästen aus Deutschland sogar der Zutritt verweigert worden sein. Die Prüfer sollen die Missstände umgehend nach Deutschland berichtet haben.

Das hielt weder Jung noch seinen Nachfolger, Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU), davon ab, das Drohnenprojekt weiter zu betreiben. Laut „Spiegel“ soll zu Guttenberg sogar gedrängt haben, die Drohne endlich nach Deutschland zu bringen. Obwohl bereits der Betriebsrat der BAAINBw den Behördenchef gewarnt hatte, die Zulassung mit allen Mitteln durchzusetzen, wurde ein Prüfer aufgetrieben, der die notwendigen Unterschriften beschaffte. Am 21. Juli 2011 traf der Euro Hawk in Deutschland ein. Der Prüfer wurde später von seinem Vorgesetzten für eine Leistungsprämie vorgeschlagen. Aber selbst in der Behörde sorgte dieser Vorgang offenbar für Unruhe. Denn eine der Unterschriften soll ein Mitarbeiter geleistet haben, der zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in der dafür zuständigen Abteilung gearbeitet hat.

Thomas de Maizière hat angekündigt, am 5. Juni einen Untersuchungsbericht zur Drohnen-Affäre vorlegen zu wollen. Der „Bild am Sonntag“ gab er zu Protokoll, er „leide unter dem Druck, den er aushalten muss“. Den Mann, der bisher als Vorzeigeminister galt, könnte die Drohnen-Affäre alles kosten. Bislang hatte er darauf verweisen können, dass er das Projekt nur „geerbt“ hatte. Doch sollte er es in Kenntnis der Probleme weiter betrieben haben, wird er sich darauf nicht mehr herausreden können. Zumal die Kosten des Euro Hawk für Deutschland offenbar höher ausfallen als bisher bekannt. Laut „Bild am Sonntag“ müssen bis September monatlich 3,3 Millionen Euro für die weitere Erprobung bezahlt werden – trotz des Ausstiegs aus dem Projekt. Dies gehe aus einem vertraulichen Bericht von Staatssekretär Beemelmans an den Verteidigungsausschuss hervor. Bekannt ist, dass zu den schon investierten Entwicklungskosten von 508 Millionen Euro noch 54 Millionen für die Herstellung der Flugfähigkeit und 94 Millionen Euro für offene vertragliche Verpflichtungen kommen.