Skandal um Parteibuchwirtschaft: Grüne fordern Aufklärung über angebliches katholisches Netzwerk im Innenministerium

Berlin. Nach der SPD fordert nun auch die Grünen-Fraktion im Bundestag Aufklärung über offenkundige Ungereimtheiten bei der Besetzung von 24 Juristenstellen des Bundesinnenministeriums (BMI). In einer Fragestunde des Bundestages hatte der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck von Innenstaatssekretär Christoph Bergner (CDU) Aufklärung über Vorwürfe der Parteibuchwirtschaft bei der größten Einstellungswelle von BMI-Juristen der letzten Jahre gefordert.

Im Ministerium eskaliert derweil nach widersprüchlichen Mitarbeiterinformationen des Personalrats und der Leitung des Hauses über die Vorgänge der Streit über die Personalpolitik. Zudem häufen sich Hinweise auf ein katholisch-konservatives Netzwerk im BMI, an dessen Spitze Ministerialdirektor Paul-Johannes Fietz (CDU) bereits seit Jahren die Einstellungspolitik des Hauses entsprechend lenkt, wie Beck in der Bundestagsfragestunde unter Berufung auf Informationen von BMI-Beschäftigten unter namentlicher Nennung von Fietz behauptete.

Die „Welt“ hatte nach Einsicht in das ursprünglich im Auftrag des BMI vom Bundesverwaltungsamt unter 470 Bewerbern vorgenommene Ranking eine nachträgliche Bevorzugung von CDU-Mitgliedern, Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung und von Bewerbern mit organisatorischer Anbindung an katholisch-konservative Organisationen festgestellt. Wie die „Welt“ aus Ministeriumskreisen erfahren hatte, hatte eine Fietz-Mitarbeiterin die Bewerberlisten in Heimarbeit auf weltanschaulich genehme Kandidaten hin durchforstet und umsortiert. Außerdem sollen behinderte Bewerber erheblich benachteiligt und bei Bewerbungsgesprächen manipulativen Fragestellungen ausgesetzt worden sein. Entsprechende Aussagen von einem Bewerber liegen der Redaktion vor. Die SPD hatte daraufhin von „Plünderungen“ des Hauses durch „Unions-Amigos“ gesprochen.

Vor dem Plenum des Bundestags bestritt BMI-Staatssekretär Bergner – der im Übrigen alle Vorwürfe der Parteibuchwirtschaft entschieden zurückwies –, dass es ein solches Bewerberranking überhaupt gegeben habe. „So gab es keine Rangliste des Bundesverwaltungsamts, von der durch das BMI hätte abgewichen werden können,“ erwiderte er vor dem Plenum auf eine entsprechende Frage Becks. Bergners Aussage steht in offenem Widerspruch zur Darstellung des BMI-Personalrats, der sich – ebenso wie die Leitung des Innenministeriums – infolge der öffentlich gewordenen Vorwürfe Mitte vergangener Woche schriftlich an alle Ministeriumsbeschäftigte gewandt hatte. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe war auch im BMI selbst der Streit über Unregelmäßigkeiten bei den Stellenbesetzungen eskaliert und hat zu sich widersprechenden Darstellungen der Vorgänge geführt. In der Personalratsmitteilung („Personalrat Aktuell 02/2013“) von letzter Woche heißt es, die Arbeitnehmervertretung habe sogar „die nicht immer nachvollziehbare Vorauswahl kritisiert und das gegenüber der Dienststelle deutlich gemacht“.

Diese „Vorauswahl“ ist auch Gegenstand eines internen Memos mit dem Datum 15. Mai aus Kreisen des BMI-Personalratsvorstands, das in der Sache noch deutlicher wird: Dort heißt es, dass der Personalrat „über die Kriterien der Vorauswahl von 470 vom BVA (Bundesverwaltungsamt) als geeignet befundenen Bewerbern auf 80 eingeladene … nicht zufriedenstellend informiert“ worden sei. „Wir hatten als PR (Personalrat) mehrmals nachgefragt, aber von der Z (Zentralabteilung) nicht zufriedenstellende Antworten bekommen“, heißt es dort weiter. Dabei reichen die Auseinandersetzungen zwischen Personalrat und BMI-Leitung offenbar seit mindestens März 2013 zurück. So heißt es bereits in einem internen Schreiben der BMI-Personalratsvorsitzenden im März 2013, das ebenfalls dieser Redaktion vorliegt, das „Verfahren“ sei „insgesamt kritikwürdig“.

Dieser mehrfach dokumentierte Dissens zwischen Personalvertretung und BMI-Zentralabteilung zur Auswahlpraxis von Bewerbern hinderte die Leitung des Hauses allerdings nicht daran, in einem Schreiben „An die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums des Innern“ vom 8. Mai das glatte Gegenteil zu behaupten. Das Auswahlverfahren sei in einem „seit vielen Jahren bewährten strukturierten Auswahlprozess“ verlaufen, schreibt Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe in der Mitarbeiterinformation. Im klaren Widerspruch zu der vom Personalrat vergeblich geforderten Information über die „Vorauswahl“ der Bewerber heißt es weiter: „Es wird unter umfassender Beteiligung der Interessenvertretungen durchgeführt.“

Auffällig ist der gereizte Ton des Mitarbeiterschreibens von Staatssekretärin Rogall-Grothe. „In der Presse wurden Vorwürfe zum jüngsten Juristenauswahlverfahren erhoben“, schreibt sie. Woher auch immer die Behauptungen kämen „sie sind falsch und nicht von lauteren Motiven getragen“, unterstellt die Staatssekretärin. Gestützt wurden die Recherchen der „Welt“ allerdings durch Aussagen einschlägiger Bewerber auf die Juristenstellen und eine entsprechende eidesstattliche Erklärung der Behinderten-Obfrau des BMI. Diese hatte zu den Bewerberrochaden im Hause von Hans-Peter Friedrich erklärt: Das BMI sei „ohne nachvollziehbare Gründe von der durch das Bundesverwaltungsamt erstellten Liste“ abgewichen – „im wahrsten Sinne des Wortes parteiisch“. Die eidesstattliche Erklärung war im Zusammenhang mit einem Arbeitsgerichtsprozess vorgelegt worden, bei dem die Behinderten-Obfrau ihrerseits Beteiligungsrechte an den Einstellungsverfahren gegenüber dem BMI-Personalrat erfolgreich erstritt.

In Kenntnis dieser Umstände behauptet Rogall-Grothe in dem Mitarbeiterschreiben jedoch missverständlich, wenn nicht gar wahrheitswidrig: „Auch das Arbeitsgericht Berlin hat das Verfahren in keiner Weise beanstandet.“ Was kein Wunder ist, da das Einstellungsverfahren für Juristen im BMI ja auch gar nicht Gegenstand dieses Arbeitsgerichtsverfahrens war. Vielmehr war es um die Beteiligungsrechte der Behinderten-Obfrau gegangen. Und diese bekam vor Gericht recht, weil ihr Einsichten in das Juristenauswahlverfahren von eben jenem Personalrat verweigert worden waren – die dieser selbst gegenüber der Leitung des BMI vergeblich eingefordert hatte, wie jetzt bekannt wurde.

Unterdessen bereiten mehrere vom BMI in dem umstrittenen Auswahlverfahren abgelehnte Bewerber Schadenersatzklagen vor. Die Betroffenen sehen sich dazu unter anderem vor dem Hintergrund von zwei erfolgreich gegen das BMI geführten Arbeitsgerichtsverfahren vom Februar 2013 und November 2012 ermutigt. Dabei ging es ebenfalls um personalpolitische Vorgänge – an denen BMI-Zentralabteilungsleiter Fietz maßgeblich beteiligt war.