Behörden sind beunruhigt, weil auch Islamisten einreisen könnten

Berlin/Moskau. Die Zahlen der Asylbewerber aus der Russischen Föderation sind zuletzt derart drastisch gestiegen, dass die deutschen Sicherheitsbehörden alarmiert sind. Allein im April hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2055 Asylanträge von russischen Bürgern erhalten, mehr als doppelt so viele wie im März. Es handelt sich vor allem um tschetschenische Antragsteller. Man wisse um die instabile Lage in Tschetschenien und könne nicht ausschließen, dass möglicherweise Islamisten den Weg nach Deutschland über einen Asylantrag nehmen wollen, so die Vermutung in Sicherheitskreisen. Zugleich ist die Menschenrechtslage in Tschetschenien verheerend. Die Republik in Nordkaukasus kommt seit 20 Jahren nicht zur Ruhe, nach zwei Kriegen bleibt die Lage angespannt. Aus Hoffnungslosigkeit und Angst verlassen viele die Region und versuchen ihr Glück in der Europäischen Union. Rund 6000 Tschetschenen leben bereits in der Bundesrepublik – eine Zahl, die mittelfristig nach oben korrigiert werden muss.

Nicht nur in Deutschland, auch EU-weit kommen die meisten Asylanträge, die von russischen Staatsbürgern gestellt werden, von Tschetschenen. „Es herrscht die Angst wie zu den Stalin-Zeiten“, sagt Swetlana Gannuschkina von der russischen NGO „Bürgerlicher Beistand“ über die Lage im Nordkaukasus. Menschenrechtler erhalten regelmäßig Berichte über Entführungen, Folter und Ehrenmorde an Frauen. Etliche Verbrechen bleiben unaufgeklärt. Dagegen gebe es „unzählige fabrizierte Straffälle“, sagt Gannuschkina. Es gebe viele Fälle, dass Tschetschenen verpflichtet werden, von ihrem Gehalt und Kompensationen für zerstörte Häuser Schutzgeld zu zahlen.

Der von Moskau unterstützte Präsident Ramsan Kadyrow wiederholt oft genug, dass Tschetschenien ein sicherer Ort sei. Er lud schon mal den Schauspieler Gérard Depardieu ein, um die Hauptstadt Grosny zu bestaunen. Doch hinter den neuen Fassaden der Hauptstadt steckt das feudale System Kadyrows, der die Republik mit Gewalt regiert. Die Situation von Frauen hat sich besonders verschlechtert. „Jede junge Frau kann mit einem Mann aus dem Umfeld von Kadyrow zwangsverheiratet werden, wenn er es will“, sagt Gannuschkina.

Die deutschen Behörden sind auch beunruhigt, da der Bombenanschlag von Boston zuletzt die Aufmerksamkeit auf Tschetschenien lenkte. Die Brüder Tamerlan und Dschochar Zarnajew mit tschetschenischen Wurzeln waren verantwortlich für den Tod von drei Menschen beim Marathonlauf in der US-amerikanischen Ostküstenstadt. Nach den Ereignissen erinnerte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen auch an eine mögliche Bedrohung durch Tschetschenen in Deutschland. Man beobachte unter anderem die in der Bundesrepublik lebenden etwa 200 Anhänger des sogenannten „Kaukasischen Emirats"“, so Maaßen. Bislang standen Europa oder die USA allerdings nicht als Anschlagsziele auf der Agenda des „Emirats“, eines 2007 vom tschetschenischen Rebellenführer Doku Umarow ausgerufenen Gebildes.