Beate Zschäpe schweigt im NSU-Prozess. Ihre Anwälte versuchen, dem Richter den Schneid abzukaufen. Ohne Erfolg

München. Eggolf Freiherr von Lerchenfeld ist Körpersprache-Kenner, Rhetoriktrainer, Menschenleser. Eine vermeintlich achtlose Handbewegung, ein unbeachtetes Verziehen der Mundwinkel – Lerchenfeld entgeht nichts, und er zieht Schlüsse aus dem nonverbalen Verhalten seiner Mitmenschen. Am zweiten Tag im NSU-Prozess hat er sich extra ganz früh am Morgen in die Besucherschlange vor dem Münchner Justizzentrum gestellt. Im Auftrag eines Nachrichtensenders will er sich ein Bild machen von Beate Zschäpe – jener Frau, über deren Charakter und Motive derzeit so viel spekuliert wird, die sich selbst aber womöglich nie äußern wird.

Als Zschäpe dann eintrifft, dieses Mal im beige-braunen Anzug, die Mähne im Pferdeschwanz gebändigt, an den Ohren wieder die riesigen Ringe, ist sich von Lerchenfeld schon nach wenigen Minuten Beobachtung sicher: Die Angeklagte mag sich demonstrativ noch so gelassen geben, in Wahrheit habe sie große Angst. Die zur Schau getragene Lässigkeit der mutmaßlichen Rechts-Terroristin hatten viele Opfer-Angehörige in der vergangenen Woche beim Prozessauftakt als Schock erlebt.

„Die Lässigkeit ist gespielt“, analysiert hingegen von Lerchenfeld die Art, wie Zschäpe mit ihren Verteidigern lacht, wie sie die Stirn runzelt, in Prozesspausen die Finger dehnt, als habe sie einen langen Arbeitstag am Computer hinter sich. Zschäpe inszeniere sich zwar als Märtyrerin, sie sei nun das „Gesicht der Szene“. Aber ihr sei sehr wohl klar, „dass sie ihre Vergangenheit den Kopf kosten kann“. Die Bundesanwaltschaft klagt sie an diesem Tag im Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts wegen mehrfachen Mordes an, und darauf steht lebenslang. Darüber hinaus seien die „Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung gegeben“, wie die Staatsanwälte auch in der Anklageschrift ausführen.

Beate Zschäpe, geboren am 2. Januar 1975 in Jena, letzte Anschrift: Frühlingsstraße 26 in 08058 Zwickau, wie Oberstaatsanwalt Herbert Diemer vorliest, hat also nicht viel Gutes von diesem Verfahren zu erwarten. Es mag diese Aussicht ihrer Mandantin sein, warum ihre Verteidiger alles daransetzen zu verhindern, dass es so richtig losgeht. Erst wenn die Anklage verlesen ist, kann die Beweisaufnahme starten, können erste Zeugen verhört und Sachverständige befragt werden. Beate Zschäpe will vor Gericht nicht einmal ihren Namen nennen, ihre Verteidiger erklären, dass sie keine Angaben machen werde.

Die drei Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm jedoch haben in ihren Rollkoffern gleich eine ganze Batterie von Anträgen mitgebracht. Und vor allem der junge Koblenzer Verteidiger Heer liefert sich gleich mehrfach heftige Wortgefechte mit dem Richter. Es ist ein Kräftemessen zwischen Richter und Verteidigern, ein Tauziehen darum, ob es gelingt, endlich mehr Zug in den Prozess gegen Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer zu bringen oder den Verlauf weiter zu verschleppen. Aber am Ende setzte sich Manfred Götzl durch: Kurz vor der Nachmittagskaffee-Zeit blockiert der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats weitere Anträge der Verteidigung und erteilt Bundesanwalt Herbert Diemer das Wort. Der oberste Terrorjäger der Republik, bei der Bundesanwaltschaft Leiter des Referats Terrorabwehr, kann gegen 15.30 Uhr endlich mit der Verlesung der Anklageschrift beginnen.

Der Vorwurf gegen Zschäpe: Mittäterschaft bei zehnfachem Mord. Als Diemer minutiös verliest, wie die Täter ein Opfer nach dem anderen in den Kopf schossen, direkt ins Auge, ins Gesicht, in die Brust, wie manche Opfer zu fliehen versuchten und sie von weiteren Schüssen in den Hinterkopf getroffen wurden, sitzt Beate Zschäpe völlig reglos zurückgelehnt in ihrem Stuhl, starrt auf einen Punkt vor sich auf dem Tisch. Auch ihre Verteidiger rühren sich nicht. Es ist ein schwieriger Moment, vor allem für die Angehörigen der Opfer, die Nebenkläger. Es sind an diesem Tag aber nur noch sieben von insgesamt 70 anwesend. Nach der Verschiebung des Prozessauftakts und der Unterbrechung in der vergangenen Woche sei es vielen nicht mehr möglich zu kommen, sagte ein Nebenkläger-Anwalt. Am ersten Prozesstag saßen noch 26 Nebenkläger in dem kleinen Gerichtssaal.

Zuvor hatten Heer, Stahl und Sturm beantragt, den Prozess in einen anderen Gerichtssaal zu verlegen und das zweite Akkreditierungsverfahren gerügt. Die Verteidigung und der Vorsitzende Richter Götzl begannen, ihre Kräfte zu messen, teils in scharfem, teils in erstaunlich kindlichem Ton. „Ich bitte darum, mir das Wort zu erteilen.“ „Nein, jetzt rede ich. Unterbrechen Sie mich nicht dauernd.“ „Nein, Sie haben mich unterbrochen, ich habe um das Wort gebeten.“ „Ich habe es Ihnen aber nicht erteilt.“ „Das kann ich so nicht akzeptieren“ – durch solche Scharmützeln droht der Prozess zu einer Endlosschleife von Anträgen, Beratungen und Ablehnungen zu werden.

Doch nicht nur der Richter, auch die Nebenkläger wollen aufs Tempo drücken. Der Hamburger Anwalt Thomas Bliwier will erreichen, dass die Anklageschrift nun verlesen wird, und reicht einen entsprechenden Antrag ein. Er gehört zu den bekannteren und erfahreneren der sehr heterogenen Schar der Anwälte, die in diesem Verfahren auf der Seite der Hinterbliebenen stehen. Zusammen mit Stephan Lucas und Jens Rabe, die die Familie des 2001 ermordeten Enver Simsek vertreten, hält er sich zurück und äußert sich im Gericht nur, wenn es nötig wird – im Gegensatz zu einigen Kollegen auf der Seite der Nebenkläger, die der Verteidigung vorwerfen, die Verhandlung zu verzögern. „Bis jetzt verhält sich die Verteidigung tadellos“, sagt Rabe – die Grenzen der Interessen zwischen Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Nebenkläger verlaufen im Zickzack.

Auf der Zuschauertribüne zählen solche juristischen Feinheiten nicht. Hier sitzen Reporter, Opfer-Angehörige und Neonazis nebeneinander, bewacht von zwölf Polizisten. Eine frustrierte türkischstämmige Frau verlässt vor der geplanten Anklageverlesung das Gericht: „Ich halte das nicht mehr aus.“ Den Rest haben ihr die Zwillingsbrüder Maik und André E. gegeben, Letzterer ist neben Zschäpe angeklagt. Er gilt als engster Vertrauter des Terrortrios. Mit seinem auf der Zuschauertribüne sitzenden Zwillingsbruder Maik scherzt er immer wieder, beide haben sich an diesem Tag ein schwarzes Shirt der Band AC/DC angezogen. Maik E. gilt ebenfalls als Szenegröße. „Ich will ein Kind von dir“, ruft Maik seinem angeklagten Bruder hinunter. Die Brüder haben ihren Spaß, umgeben von Opfern und ignoriert von allen anderen, die wissen, dass diese beiden so dachten, wie die NSU handelte.