Zweiter Demografie-Gipfel der Bundesregierung im Zeichen der Zuwanderungsdebatte. „Alle können werben für Deutschland als ein offenes Land“, sagte die Bundeskanzlerin in ihrer 20-minütigen Eröffnungsrede.

Berlin. „Die Bedingungen sind sehr gut, unser Ruf ist sehr schlecht.“ Angela Merkel muss es wissen, sie ist ja genug unterwegs, um in halb Europa die Auflehnung gegen die deutsche Politik und mittelbar gegen Deutschland mitzuerleben. Umfragen, Studien oder die Lektüre der ausländischen Presse erwecken den Eindruck, dass die Stimmung sich in der Euro-Krise tatsächlich gegen Deutschland und die Deutschen gedreht hat. Ein Befund, der die Kanzlerin nicht so kaltzulassen scheint, wie es ihre von manchen schon als eisern beschriebene Haltung glauben macht. Beim zweiten Demografie-Gipfel der Bundesregierung richtete sie deshalb nicht nur Botschaften nach innen, in Richtung ihrer Landsleute. Sondern auch nach außen. Merkel propagiert einen anderen, den guten Deutschen.

„Alle können werben für Deutschland als ein offenes Land“, sagt sie in ihrer 20-minütigen Eröffnungsrede. Ein Gedanke, der ihr so wichtig ist, dass sie ihn später noch einmal wiederholt: „Es muss unser Ziel sein, wirklich auch offen zu sein für junge Leute, die zu uns kommen, wenn wir heute schon wissen, dass wir 2025 sechs Millionen Arbeitskräfte in Deutschland weniger sein werden.“ Merkel wünscht sich dafür Bürger, die die Möglichkeiten der europäischen Mobilität noch viel stärker nutzen, als dies heute der Fall ist. Zum Vergleich erwähnt sie die USA, in denen die Menschen selbstverständlich zwischen den einzelnen Bundesstaaten pendeln.

Sie erwähnt aber auch den Austausch zwischen Ost- und Westdeutschland nach der Wiedervereinigung. Und deutet ihn damit positiv um. Denn im kollektiven Gedächtnis ist der hunderttausendfache Exodus aus der ehemaligen DDR nach 1990 eher als Drama verankert. Nicht zuletzt hat er doch dazu beigetragen, dass die demografische Entwicklung im Osten davongaloppiert ist und der Westen noch ein paar Jahre geschenkt bekam, in denen er die Tatsache, dass die Jungen weniger und die Alten mehr werden, scheinbar ignorieren konnte. Für Merkel war die Wanderungsbewegung offenbar dagegen eher Ausweis des Zusammenwachsens, vielleicht auch Kennzeichen für die Offenheit der Ostdeutschen – und schließlich vor allem Grund für den Rückgang der Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern.

In diesem Sinn spricht Merkel nicht nur davon, dass nun Ausländer nach Deutschland kommen, um hier zu leben und zu arbeiten. Man könne heute auch niemanden mehr darauf verpflichten, in Deutschland seine Heimat zu sehen, sagt sie. So, wie man eben niemanden verpflichten konnte, in Ostdeutschland zu bleiben, wo es keine Arbeit gab. Solche Ideen gab es ja Anfang der 90er-Jahre durchaus. Merkel schwebt ein Europa vor, dessen Bürger die nationalstaatlichen Grenzen nicht mehr als Barrieren empfinden. Dafür müssten sich auch die sozialen Sicherungssysteme angleichen, damit man etwa Rentenansprüche möglichst problemlos in ein anderes Land mitnehmen kann.

Schließlich fordert Merkel: „Mehr Mut zur Mobilität in Europa, das bedeutet, dass nicht nur diejenigen, die eine akademische Ausbildung haben, eine zweite Sprache können müssen, sondern alle müssen eine zweite Sprache können, damit wir ein Verständigungsniveau in Europa erreichen.“ Bemerkenswert häufig ist die Zuwanderungsdebatte während des Demografie-Gipfels präsent. Das mag zum einen daran liegen, dass erst jüngst neue Zahlen vorgelegt wurden, die Deutschland 2012 die meisten Zuwanderer seit Mitte der 90er-Jahre bescheinigten. Unter ihnen waren viele gut ausgebildete Menschen aus Süd- und Osteuropa.

Zum anderen ist dieses Thema eines der wenigen konkreten, die der Gipfel zu bieten hat. Die neun Arbeitsgruppen, die seit Oktober 2012 an Empfehlungen arbeiteten, wie der demografische Wandel bewältigt werden soll, haben schließlich keine Gesetze formuliert. Nicht selten finden sich in der Auflistung ihrer Ergebnisse einfach nur bereits verabschiedete Projekte. Ansonsten enthalten die Papiere viele Binsenweisheiten, wie jene, dass selbstbestimmtes Leben im Alter wichtiger werde oder Arbeitszeit flexibler gestaltet werden müsse. Die Frage des Wie bleibt. Verständlich, dass die Opposition von einer Showveranstaltung spricht. Damit einher ging der Vorwurf, der Gipfel orientiere sich lediglich an den ökonomischen Bedürfnissen und weniger an denen der Menschen.

Doch an dieser Stelle machten Merkel und ihre Minister deutlich, dass es so nicht laufen dürfe. „Wir wollen eine Anpassung an die Bedürfnisse der Familien“, sagte Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) drückte es so aus: „Wir wollen die Systeme an die Menschen anpassen, nicht den Menschen an das System.“ Merkel forderte von den Unternehmen mehr Einsatz, was Modelle von Teil- und Vollzeit anbelangt. Frauen müssten einen Anspruch haben, nach einer Phase der Teilzeit zu Vollzeitbeschäftigung zurückkehren zu können. Aber, bedauert die Kanzlerin, so weit hätte man die Firmen noch nicht.