Westdeutsche Pharmakonzerne erprobten an DDR-Patienten Medikamente

Berlin. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat Aufklärung über Medikamententests westdeutscher Pharmakonzerne an DDR-Bürgern gefordert. „Ich begrüße, dass das für die Aufarbeitung von DDR-Unrecht zuständige Bundesinnenministerium die Aufklärung unterstützen will“, sagte er am Dienstag „Spiegel Online“. Wie diese Unterstützung aussehen wird, steht dem Innenministerium zufolge allerdings noch nicht fest. Das Innenressort prüfe derzeit eine finanzielle Beteiligung an einem Forschungsprojekt der Berliner Charité zu den Medikamententests an DDR-Patienten, sagte ein Ministeriumssprecher. „Wir haben ein Interesse daran, dass das aufgeklärt wird“, sagte er. Das Innenministerium werde allerdings aber nicht der zentrale Finanzierer des Forschungsprojekts sein können.

Gesundheitsminister Bahr forderte, dass sich auch westdeutsche Pharmakonzerne an der Aufklärung beteiligten. „Ich fordere die Pharmaindustrie auf, diesen Prozess nach Kräften zu unterstützen und zur Transparenz beizutragen“, sagte der Minister „Spiegel Online“. Sein Ministerium selbst besitze keine Daten über klinische Studien in der DDR. Die thüringische Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD) rief dazu auf, nicht allein Arzneimittelhersteller unter die Lupe zu nehmen: Es sei mindestens genauso wichtig zu untersuchen, was in den Patientenunterlagen stehe, sagte Taubert dem MDR. Nur so könne man an Betroffene herankommen und herausbekommen, ob die Patienten von den Tests gewusst hätten. Sie sei daher froh, dass sich das Universitätsklinikum in Jena zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe bereiterklärt habe. „Das Verwerfliche an der Sache ist, dass die DDR die Leute verkauft hat, für Devisen“, sagte Taubert.

Der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Rainer Wagner, betonte, die Vorgänge zeigten, „wie die Verantwortlichen im Unrechtsstaat DDR hinterm Westgeld her waren und von daher keine moralischen Skrupel kannten“. Kapitalistische Unternehmen hätten das für ihre finanziellen Zwecke ausgenutzt, sagte Wagner der „Berliner Zeitung“. In eindeutigen Fällen müssten die Pharmafirmen Betroffene entschädigen, „bis zu einem einmaligen Schmerzensgeld“.

Nach einem Bericht des „Spiegels“ wurden im Auftrag von Pharmaunternehmen aus dem Westen in mehr als 50 DDR-Kliniken unter anderem Herzmedikamente und Antidepressiva getestet – oft ohne Wissen der Betroffenen. Das Magazin beruft sich auf bislang unbekannte Akten etwa der Stasi und des DDR-Gesundheitsministeriums. West-Pharmahersteller gaben demnach mehr als 600 Arzneimittelversuche an Zehntausenden Patienten in Auftrag. Dabei soll es zahlreiche Todesfällen gegeben haben. Die Berliner Charité hatte ein Forschungsprojekt angekündigt, um die Vorgänge aufzuklären.