Eine erfolgreiche Arbeitsgerichts-Klage offenbart die zweifelhafte Einstellungspraxis im Bundesinnenministerium Hans-Peter Friedrichs

Berlin. Am 24. April kam es vor der 56. Kammer des Berliner Arbeitsgerichts zu einem scheinbar unspektakulären Richterspruch. Geklagt hatte die Schwerbehindertenvertreterin des Bundesinnenministeriums (BMI) gegen den Personalrat des eigenen Hauses. Es ging um Rechte der Behindertenvertreterin gegenüber dem Personalrat. Ein solches Recht sei ihr verweigert worden, so hatte die Behindertenvertreterin geklagt – und das Gericht gab ihr recht (Az.: 56BVGa4630/13). Im Urteil heißt es: Der BMI-Personalrat „wird verurteilt“.

Auf den ersten Blick ein Routinefall. Interessant aber macht ihn, dass es sich bei den vom Gericht festgestellten Verstößen um Unregelmäßigkeiten bei der größten Einstellungswelle im Innenministerium seit der Wiedervereinigung handelt. Die Bundestagswahl lässt grüßen. Und unregelmäßig ging es ganz offenbar dabei nicht nur in Bezug auf Behinderte zu. Der Arbeitsgerichtsprozess brachte Umstände ans Licht, die den Eindruck von Parteibuchwirtschaft nahelegen. Bemerkenswert ist auch das Volumen der Personalmaßnahme: Es geht dabei immerhin um einen Vorgang, der inklusive aller Personalfolgekosten eine Investition des BMI von knapp 90 Millionen Euro darstellt.

Was war geschehen? Im Herbst vergangenen Jahres hatte das Ministerium einen externen Dienstleister damit beauftragt, 470 Volljuristen näher unter die Lupe zu nehmen, die zuvor aus einem Kreis von insgesamt 670 Bewerbern auf eine entsprechende Ausschreibung hin ausgewählt worden waren. Die Aufgabe übernahm, wie in solchen Fällen üblich, das Bundesverwaltungsamt (BVA), das für das BMI zentrale Servicemaßnahmen wie zum Beispiel Personalauswahl und -gewinnung besorgt.

Zur weiteren Entscheidungsfindung im BMI erstellte das Amt ein Ranking unter den 470 Bewerbern. Ergebnis dieses Rankings war eine Gesamtpunktzahl für jeden Bewerber. Diese Punktzahl ergibt sich aus einer Matrix, die alle maßgeblichen Einstellungskriterien umfasst. So gehen unter anderem die Noten der beiden juristischen Staatsexamina, Sprachkenntnisse, Zusatzqualifikationen, Auslandserfahrung, Ehrenämter und das soziale Engagement der Bewerber in die Punktevergabe ein. Das Verfahren ist streng formalisiert und war zuvor vom BVA im Auftrag des Ministeriums auf der Grundlage eines Erlasses entwickelt worden. So soll eigentlich eine Personalauswahl ausschließlich nach den Kriterien Eignung, Leistung und Befähigung sichergestellt werden.

Als Ergebnis dieser Vorauswahl stellte der Dienstleister eine Liste von 470 Kandidaten für die insgesamt 24 zu besetzenden Volljuristen-Stellen zusammen. Daraufhin lud das BMI auch tatsächlich 80 Bewerber für die weitere Auswahl zu einem Assessment-Center ein. Es waren aber plötzlich zum großen Teil andere als die vom BVA mit der höchsten Punktzahl – sprich der besten Qualifikation – herausgefilterten.

Zwischenzeitlich musste also etwas Merkwürdiges geschehen sein. Wie aus Bewertungsunterlagen des Bundesverwaltungsamts hervorgeht, wurden, unabhängig von den vergebenen Punktzahlen, Kandidaten mit CDU- und CSU-Parteibuch sowie Bewerber mit Verbindungen zur unionsnahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) vorrangig auf die Einladungsliste für die Endauswahl gesetzt. Und das kam so: Eine Ministerialrätin der im BMI für die Personalgewinnung zuständigen Zentralabteilung hatte sich die Personalunterlagen einige Tage in Heimarbeit vorgenommen. „In Nachtarbeit“, wie es heißt, sei dabei das Kandidatenranking völlig umgestellt worden. Herausgekommen ist eine Kandidatenliste, die sehr wenig mit dem Ranking der BVA-Matrix, dafür aber offenbar sehr viel mit den politischen Präferenzen in der Zentralabteilung des Ministeriums zu tun hat. Dass die Ministerialrätin dabei in Eigeninitiative gehandelt hat, erscheint zumindest unwahrscheinlich.

Untergeordnet ist die Ministerialrätin (Arbeitsgruppe ZI1) dem damit für die Vorgänge direkt verantwortlichen Leiter der Zentralabteilung, Ministerialdirektor Paul Johannes Fietz, ehemaliger Referent der CDU-Bundestagsfraktion und ebenso wie besagte Ministerialrätin langjähriges Parteimitglied. Fietz gilt als erfahrener Personaler. Als solcher hielt er zuletzt Mitte Februar im Rahmen des Seminars „Personalführung“ der angesehenen Verwaltungshochschule Speyer vor Abteilungsleitern aus Ministerien einen Vortrag unter dem beziehungsreichen Titel „Personalführung zwischen Erwartung und Realität“. Dergleichen Erwartungsmanagement, wie unter seiner Leitung im eigenen Hause praktiziert, dürfte aber wohl kaum Gegenstand gewesen sein.

In einer eidesstattlichen Versicherung, die von der BMI-Behindertenbeauftragten beim erwähnten Arbeitsgerichtsprozess vorgelegt wurde, heißt es zu den Bewerberrochaden der Zentralabteilung: Das BMI sei „ohne nachvollziehbare Gründe von der durch das Bundesverwaltungsamt erstellen Liste“ abgewichen – „im wahrsten Sinne des Wortes parteiisch“. „Offenbar nach Gutdünken und in vollkommen intransparenter Weise“ seien Bewerber an der BVA-Matrix vorbei ausgewählt worden, „die u. a. zuvor Stipendien in den entsprechenden politischen Stiftungen erhalten und damit eine bestimmte politische Grundtendenz offengelegt hatten“. Dabei seien außerdem die Personalräte umgangen und Behinderte diskriminiert worden. Das Ministerium bestreitet dies: „Diese Behauptung ist falsch. Das BMI hält sich strikt an den Grundsatz, dass schwerbehinderte Bewerber bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt werden“, erklärte das Innenministerium auf Anfrage.

Dass dabei der BMI-Personalrat glatt umgangen wurde, scheint diesen nicht weiter gestört zu haben. Offenbar geschah die Bevorzugung von politisch genehmen Bewerbern und die Benachteiligung von Behinderten sogar zumindest mit der Duldung der Arbeitnehmervertretung. Und unter der vom Berliner Arbeitsgericht per Urteil festgestellten Umgehung der Behindertenbeauftragten des Innenministeriums. Diese versichert dazu eidesstattlich: „Der Personalrat kümmerte sich diesbezüglich nicht um seine Rechte und hielt das Bundesministerium des Inneren nicht dazu an … seine Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte einzuhalten.“ Das Bundesinnenministerium stellt hierzu auf Anfrage fest: „Es hat keine Unregelmäßigkeiten beim Auswahlverfahren von Juristen für das BMI gegeben. Bei dem von Ihnen genannten Prozess handelt es sich um ein Streitverfahren zwischen der Schwerbehindertenvertretung und dem Personalrat, in das die Dienststelle nicht eingebunden ist.“

Die rechtswidrig anmutende Verfahrensweise ging aber wohl noch weit über die Verletzung von Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten der Personalvertretung hinaus. Den Schilderungen eines Bewerbers zufolge sei „klar zu erkennen gewesen“, dass es Vorabsprachen gegeben habe, die sein Bewerbungsgespräch, das unter anderen in Gegenwart von Ministerialdirektor Fietz stattfand, habe „absurd“ erscheinen lassen. Der behinderte Jurist, der seinen Namen nicht öffentlich genannt sehen möchte, sagte: „In der Gesprächsführung war eindeutig erkennbar, dass Aussagen verdreht werden sollten, dass alles manipuliert war und meine Bewerbung von vornherein chancenlos sein sollte.“ Die Fragetechnik habe er als „diskriminierend“ und „persönlichkeitsrechtlich grenzwertig“ erlebt. Er habe sich danach gefragt, ob dieses Vorgehen als naiv oder besonders dreister Versuch angesehen werden müsse, sich gegenüber ihm als Juristen derart angreifbar zu machen: „Ich sehe in diesem Zusammenhang einschlägige Verfassungsgrundsätze klar verletzt.“

Kein Wunder also, dass am Ende des Verfahrens rund die Hälfte der 24 letztendlich ausgewählten Bewerber für die Juristenstellen im BMI aus erklärten CDU-Anhängern beziehungsweise KAS-Stipendiaten bestand. Viele in dieser BMI-Endauswahl hätten gemäß der objektivierenden Entscheidungsmatrix des Bundesverwaltungsamtes keine Chance auf Teilnahme am Assessment-Center geschweige denn auf Anstellung gehabt.

Dabei ist diese Matrix verbindlich. So stellte das BMI mit Schreiben vom 21.12.2011 an sämtliche nachgeordnete Behörden ausdrücklich fest, dass auf diesem Wege erstellte Bewerberranglisten zwar „moderat umgestellt“ werden dürften – jedoch: „Im Hinblick auf etwaige Klageverfahren unterlegener Bewerber sind die Kriterien für die Neubewertung von der Behörde nachzuhalten (z.B. per Vermerk).“ Dies aber ist ebenso wenig geschehen wie die Beteiligung der Behindertenvertrauensfrau. Einschlägige Anfragen von ihr waren von Fietz unbeantwortet geblieben, wie sie versichert. Inzwischen hat der Vorgang auch die Spitze des Hauses erreicht. Kritik an den eigenwilligen Auswahlpraktiken ist Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) spätestens seit einer BMI-Personalversammlung am 22. April bekannt. Dort wurden in seiner Gegenwart die Ungereimtheiten bei besagter Juristenauswahl ausführlich thematisiert.

Noch sind die Einstellungsvorgänge nicht abgeschlossen, Absagen an Kandidaten noch nicht erfolgt. Es scheint dringend geboten, dass der Minister die Einstellungsprozedur noch einmal ganz von vorn aufrollt, auch – oder gerade – weil es sich um eines der umfangreichsten und damit teuersten Personalgewinnungsverfahren der jüngeren BMI-Geschichte handelt. Denn angesichts der offensichtlichen Unkorrektheiten dürfte der Bundesminister des Innern es sonst nach Einschätzung seiner eigenen Fachleute mit einer Reihe fundierter Klagen vonseiten abgewiesener Bewerber zu tun bekommen.

Bislang aber hält man an dem umstrittenen Verfahren dennoch fest: „Das Verfahren verläuft nach einem seit vielen Jahren praktizierten, stark strukturierten Auswahlprozess unter Beteiligung aller Interessenvertretungen. Parteimitgliedschaften spielen bei Einstellungsverfahren im BMI keine Rolle“, erklärte das Ministerium.

Abteilungsleiter Fietz soll allerdings aus Verärgerung über die Schwerbehindertenvertretung inzwischen gedroht haben, die Vereinbarung zur Integration schwerbehinderter Menschen im Innenministerium aufzukündigen. Das würden Tausende schwerbehinderte Beschäftigte im Geschäftsbereich des Ministeriums sicher nicht widerstandslos hinnehmen. Die Schwerbehindertenvertretungen der obersten Bundesbehörden wurden bereits informiert.