Vor dem Marathon in Hamburg hat die Polizei keine Hinweise für eine erhöhte Gefahr durch Anschläge. Dennoch prüft Behörde das Sicherheitskonzept

Hamburg/Boston. Auf der Website des Veranstalters zählt eine Digitaluhr sekundengenau die Zeit bis zum Start des Hamburger Marathons herunter. Der Countdown ist auch ein Symbol für die gespannte Vorfreude der Läufer auf die Großveranstaltung mit rund 15.000 Läufern und 750.000 Besuchern. Bis Montagabend herrschte, so Marathon-Organisator Frank Thaleiser, „pure Euphorie“. Doch damit war es schlagartig vorbei, als gegen 20.50 Uhr unserer Zeit die ersten Bilder vom Attentat in Boston über die Fernseher flimmerten. Da waren es noch fünf Tage, elf Stunden und elf Minuten bis zum Startschuss für die Läufer.

Am Tag nach dem Anschlag mit drei Toten und mehr als 100 Verletzten kann Frank Thaleiser noch immer nicht begreifen, was er da gesehen hat. Die Bilder von zusammengebrochenen Läufern, vom dichten Rauch, der durch die Straßen wabert, von Polizisten, die versuchen hektisch für Ordnung zu sorgen – es waren Bilder, die entfernt an das Chaos nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11.September 2001 erinnerten. „Du denkst einfach nichts, hast keine Zeit, es zu verarbeiten, fühlst nur, wie schrecklich das alles ist.“ 51 Wochen haben er und sein Team in die Vorbereitung des 42 Kilometer langen Laufs gesteckt. „In der Woche vor dem Marathon herrscht üblicherweise die reine Vorfreude, weil ja alles getan ist“, sagt Thaleiser. „Aber diese Stimmung ist jetzt komplett hinüber.“

Mit seinem Statement auf der Homepage drückte der Veranstalter aus, was viele Läufer und Athleten dachten und fühlten: „Die Anschläge beim Boston-Marathon haben uns geschockt und machen uns tief betroffen. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten den Familien der getöteten und verletzten Läufer und Zuschauer. Es ist ein trauriger Tag für den Sport und für alle Marathonläufer“, heißt es dort. Gleichzeitig ließen die Organisatoren keinen Zweifel, dass die Veranstalter vor dem Terror nicht in die Knie gehen werden. „In jedem Fall wird die Veranstaltung am kommenden Wochenende wie geplant stattfinden.“ Das sei die Frage vieler Teilnehmer gewesen, seit dem frühen Dienstagmorgen habe sein Telefon unentwegt geklingelt. Er habe indes von nicht einem Sportler gehört, der sich aus Angst vor einem Anschlag abgemeldet habe. Auch in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter herrscht statt Panik vor allem Gelassenheit.

Dem Start des Marathons steht vor allem deshalb nichts im Wege, weil die Sicherheitsbehörden vorläufig keinen Hinweis auf eine verschärfte Bedrohungslage in Hamburg haben, wie Vertreter der Innenbehörde und des Hamburger Verfassungsschutzes nach einem Treffen am Dienstag betonten. Die Informationen der US-Behörden flößen fortlaufend in die Bewertung der Sicherheitslage in Hamburg mit ein – es gebe aber keinen Grund, das Sicherheitskonzept zu ändern, sagte der Sprecher der Innenbehörde, Frank Reschreiter. Das bisherige Sicherheitskonzept der Polizei bei Großveranstaltungen sei ausreichend. Den Lauf komplett abzusagen oder das Sicherheitsaufkommen massiv zu erhöhen, hält Thaleiser ohnehin für das falsche Signal. Nach den Anschlägen vom 11.September startete kurz darauf auch der Marathon in New York. Die Botschaft aus Hamburg sei eine ähnliche wie vor fast zwölf Jahren: „Jetzt erst recht.“

An dem 28.Hamburger Marathon, der am Sonntag um neun Uhr an der Messe startet und dort am Nachmittag endet, nehmen zahlreiche Prominente teil. Im Staffelwettbewerb laufen unter anderem Sportkommentator Johannes B.Kerner, Fußballtrainer Felix Magath, „Tagesthemen"-Moderator Tom Buhrow und Ex-Tennisstar Michael Stich Distanzen zwischen 5,4 und 16,3 Kilometern. 400 Polizeibeamte sichern die exakt 42,195 Kilometer lange Strecke ab, neben den Rettungskräften und Feuerwehrleuten wollen rund 3000 freiwillige Helfer für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Von den Helfern erwartet Thaleiser, dass sie nach den jüngsten Ereignissen nun „noch wachsamer“ sind. „Aber absolute Sicherheit gibt es bei Großveranstaltungen nun mal nicht, es gibt immer ein Restrisiko. Wir können nicht in jede Tasche gucken und nicht jeden Menschen überprüfen, nicht an jeder Stelle der Strecke einen Polizisten postieren und nicht die ganze Stadt mit Bombenspürhunden durchkämmen.“ Keinen Sinn mache es zudem, ein „martialisches Aufgebot“ von 100 zusätzlichen Polizeibeamten auf der Zielgeraden zu postieren. „Das schürt nur die Panik“, so Thaleiser.

Für den extrem unwahrscheinlichen Fall, dass Bomben am Streckenrand platziert und diese rechtzeitig entdeckt würden, seien für die Entschärfung die Kampfmittelräumer der Hamburger Polizei zuständig, sagte Feuerwehrsprecher Hendrik Frese. Die Feuerwehr mache lediglich Sprengmittel aus der Zeit der Weltkriege unschädlich, die Entschärfung von Bomben neueren Typs – meist selbst gebastelt – sei Aufgabe der Polizei. Viele der insgesamt 15.300 Läufer, die sich für den Sonntag angemeldet haben, hätten bereits angekündigt, mit Trauerflor zu laufen, sagte Marathon-Geschäftsführer Thaleiser. Eine ähnliche Idee hat Miriam Stroetmann, die ihre Solidarität mit den Opfer der Anschläge am Sonntag mit einer gelben Armbinde zeigen will. Ihr Vorschlag, den sie auch auf Facebook postete, hat bereits zahlreiche Anhänger gefunden. „Gelb ist die Farbe des Boston-Marathons“, erklärte die 44-Jährige, Zweite Vorsitzende des bekannten Vereins Hamburger Laufladen in Winterhude. „Ich bin fassungslos über die Explosion beim Marathon in Boston.“ Einer der Hamburger Freunde sei dort gestartet. „Zum Glück war er schon lange aus dem Zielbereich heraus, als die Anschläge passierten. Er ist in Ordnung. Von den Bomben hat er erst später erfahren.“

Auch Stroetmann werde am Sonntag an den Start gehen, als Hamburgerin sei der Lauf ihr Highlight des Jahres, der Verein Laufladen ist mit fast 40 Läufern beim Marathon dabei. „Wir müssen so viele Menschen wie möglich bewegen, am Sonntag mitzulaufen. Wir dürfen keine Angst schüren.“ 42 Kilometer Laufstrecke könnten nicht völlig abgesichert werden, dass weiß auch die 44-Jährige, die im vergangenen Jahr im Seniorenteam Hamburger Meisterin über zehn Kilometer Straße wurde. Dennoch: „In Hamburg wird schon sehr viel gemacht, mehr als bei anderen Veranstaltungen.“ Allein 600 Sanitäter seien im Einsatz.