Staatsanwaltschaft Hannover erhebt Anklage gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Es geht um Bestechung und Bestechlichkeit.

Hannover. Es ist eine Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat entschieden, Anklage gegen einen früheren Bundespräsidenten zu erheben. Christian Wulff, Staatsoberhaupt von Juli 2010 bis zum Februar 2012, wird vorgeworfen, in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident bestechlich gewesen zu sein. Angeklagt wird außerdem der Filmproduzent David Groenewold. Ihm wird vorgeworfen Christian Wulff mit kleinen Gefälligkeiten bestochen und so Ermessensentscheidungen des CDU-Politikers zu seinen Gunsten beeinflusst zu haben.

Gerichtsfest glauben die Staatsanwälte diesen Vorwurf allerdings nur in einem Fall erheben zu können. Groenewold soll Wulff im Jahr 2008 zu einem Oktoberfestbesuch eingeladen haben. Im Gegenzug warb Wulff laut Anklage beim Siemens-Konzern um Unterstützung für das Groenewold-Filmprojekt „John Rabe“. Dass die niedersächsischen Ermittler 14 Monate nach Beginn des Verfahrens gegen Wulff Anklage erheben, kam nicht mehr überraschend. Wulff hatte am Dienstag das Angebot der Staatsanwaltschaft abgelehnt, das Verfahren gegen Zahlung eines Geldbetrags einzustellen. Er wolle um seine Würde kämpfen, hatte er in einer Presseerklärung seiner Verteidiger mitteilen lassen. Auch Groenewold hatte sich auf einen entsprechenden Vorschlag nicht einlassen wollen.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen das frühere Staatsoberhaupt umfasst 79 Seiten, es werden 25 Zeugen benannt und sieben Aktenordner schriftliche Unterlagen als Beweismittel angeführt. Möglicherweise muss auch Bettina Wulff aussagen. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens waren ursprünglich Wulffs sämtliche Beziehungen zu vermögenden Freunden – von diversen Vorwürfen blieb zuletzt aber nur der im Zusammenhang mit dem Oktoberfestbesuch übrig. 2008 war die Welt für Christian Wulff noch in Ordnung: Mit seiner Frau Bettina tauschte der Ministerpräsident verliebte Blicke, Fotos zeigen ihn mit einer Maß Bier in der Hand und stilecht im Trachtenjanker. Bettina trägt Dirndl, beide sind ganz Ton in Ton. Fast viereinhalb Jahre später, führt die Sause in München zu einer Anklage wegen Bestechlichkeit. Ein einmaliger Vorgang.

Produzent Groenewold übernahm nach Angaben der Staatsanwaltschaft für Wulff und seine Familie 510 Euro Hotel- und Babysitterkosten, rund 210 Euro für ein Abendessen sowie 3209 Euro für einen Festzeltbesuch mit den Wulffs und weiteren sieben Gästen – insgesamt war zuletzt die Rede von rund 770 Euro gewesen. Die Staatsanwaltschaft betonte, der Wert der Zuwendung spiele bei der Anklageerhebung keine maßgebliche Rolle. Zur Finanzierung von zwei Sylt-Urlauben stellten die Ermittler das Verfahren mangels Tatverdachts ein. Auch hier soll Groenewold Kosten übernommen haben. Längst nicht mehr relevant sind auch die Vorwürfe im Zusammenhang mit Wulffs Hauskredit, mit denen die Affäre im Dezember 2011 ins Rollen kam.

Wulffs Anwälte erklärten, die Anschuldigungen seien unbegründet. „Bundespräsident a. D. Christian Wulff vertraut auf die Unabhängigkeit, die Souveränität und das Augenmaß des Gerichts“, hieß es in einer Erklärung der Rechtsanwälte Bernd Müssig und Michael Nagel. Sie betonten, die Staatsanwaltschaft habe alle anderen Vorwürfe fallen lassen, mit denen sie im Februar 2012 den Antrag auf Aufhebung seiner Immunität begründet habe. Danach war Wulff zurückgetreten.

Filmproduzent Groenewold klagen die Ermittler außer wegen Bestechung auch wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung an. Der Anwalt des Filmproduzenten, Christian-Oliver Moser, sagte der dpa: „Die Anklage überrascht uns nicht.“

Denkbar ist jetzt aber auch noch, dass es einen neuerlichen Versuch einer Einigung vor Eröffnung des Hauptverfahrens geben könnte. Das Gericht könnte Wulffs Anwälte und die Staatsanwaltschaft noch einmal an einen Tisch bitten. Die Wulff-Seite hatte bereits zuvor Kompromissbereitschaft signalisiert: Wenn der Vorwurf der Bestechlichkeit fallen gelassen und wieder auf Vorteilsnahme reduziert wird, und wenn die geforderten 20.000 Euro reduziert würden, dann könnte Wulff doch noch zustimmen. Bisher hat sich die Staatsanwaltschaft darauf aber nicht eingelassen.

Es bleiben also nur noch die Übernachtungskosten plus Anteile an einem größeren Abendessen, das Groenewold während des Münchner Oktoberfests 2008 bezahlt hat – angeblich aber ohne Wissen des Begünstigten. Die Wulff-Seite weist darauf hin, dass der damalige Ministerpräsident diese Kosten ohne Mühe hätte offiziell abrechnen können. Dass sich Wulff damals bei Siemens-Chef Peter Löscher für Groenewolds Filmprojekt „John Rabe“ eingesetzt hat, ist unbestritten. Aber gab es da wirklich einen Zusammenhang?

Nach Paragraf 332, Absatz 1 des Strafgesetzbuchs kann Bestechlichkeit eines Amtsträgers mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. In minder schweren Fällen kann eine Geldstrafe verhängt werden. Verneint das Gericht einen hinreichenden Tatverdacht, würde das Verfahren eingestellt. Das wäre ein Freispruch erster Klasse für Wulff und eine schallende Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft. Und genau darauf hofft der frühere Bundespräsident.