Das Wahlprogramm der SPD steht und kommt in den Umfragen gut an. Nur der Kanzlerkandidat noch nicht

Hamburg/Berlin. Als es um die Krise in Europa geht, um die Rettung der Banken mit Milliarden, um die Zukunft der kulturellen Vielfalt auf dem Kontinent, die ganz großen Dinge also, da erzählt Peer Steinbrück eine Geschichte aus seiner Kindheit. „Ich bin aufgewachsen, als Hamburg in Trümmern stand.“ Seine Eltern hätten im Sommer 1943 heiraten wollen, doch dann fiel eine Bombe auf das Uhlenhorster Fährhaus. Es wurde bei der Operation „Gomorrha“ der Alliierten im Kampf gegen den deutschen Faschismus zerstört. Seine Eltern flohen aus der Stadt nach Stettin.

Unser heutiges Europa, sagt Steinbrück dann, sei die Antwort auf die Katastrophe des 20. Jahrhunderts, Krieg und Faschismus. Er wird an diesem Abend im Saal der Hamburger Handwerkskammer noch viel sprechen über Mindestlohn, über die Linkspartei, mit der er nicht koalieren werde, über ein Wahlrecht für 16-Jährige, das er „aus dem Bauchgefühl heraus“ gut finde. Aber Peer Steinbrück will jetzt erst mal Haltung zeigen. Grenzen abstecken. Punkte setzen. Europa ist ein gutes Thema dafür. Und außerdem erzählt er auch gerne diese Geschichten. Die kommen meistens gut an beim Publikum.

„Klartext mit Peer Steinbrück“, so heißt die Veranstaltung am Donnerstagabend in Hamburg, sie ist Etappe der Länderreise des Kanzlerkandidaten der SPD. Steinbrück sagt: „Nur mit einem starken Europa spielt Deutschland weiter in der Champions League.“ Es gibt Applaus von den 200 Zuhörern im Saal. Auch Bürgermeister Olaf Scholz ist da, Vertreter aus der Wirtschaft, viele ältere Männer, aber auch eine Jugendliche. Es läuft gut für Peer Steinbrück an diesem Abend in Hamburg.

Es läuft nicht gut für Peer Steinbrück in den Umfragen. Seine Popularität ist auf den tiefsten Punkt seit 2005 gefallen. Im Deutschlandtrend waren zuletzt nur 32 Prozent der Befragten mit Steinbrücks Arbeit zufrieden. Denn die Wähler lesen derzeit ziemlich viel über den „Pannen-Peer“ oder den „Stolper-Steini“, der es schafft, in jedes Fettnäpfchen zu treten, das im Wahlkampf vor seinen Füßen liegt: die Debatte um seine hohen Gehälter für Vorträge, die umstrittenen Äußerungen über das Kanzlergehalt, das viel zu gering sei. Seine Äußerungen über den Italiener Berlusconi, den Steinbrück einen Clown nannte. Das kam bei vielen Deutschen gut an. Bei den europäischen Nachbarn in Italien nicht.

Peer Steinbrück sieht sich auch als Opfer der Medien, die auf der Suche nach „der Story“ jeden Stein umwenden würden. Auch Steine in seinem Privatleben. Er wolle eine Debatte über die Rolle der Medien in Deutschland führen, sagt er. Aber erst nach der Bundestagswahl. Es klingt wie eine Drohung.

Vor der Wahl soll es aus Sicht der SPD jetzt nur noch um Inhalte gehen. Die Partei wird am Sonntag ein Regierungsprogramm verabschieden. Nach Umfragen ist sie von einer Ablösung der Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) allerdings so weit entfernt wie lange nicht. „Kritisch wird es, wenn man an die Wiederwahl von Schwarz-Gelb glaubt“, analysiert ein führender SPD-Politiker in Berlin. Es soll so klingen, als würde da noch kein Sozialdemokrat daran denken.

Doch Steinbrück und die SPD haben zueinandergefunden. Und die Partei zeigt sich geschlossen. Auch jetzt, in Zeiten schlechter Umfragen. Inhaltliche Kontroversen gibt es vor dem Parteitag am Wochenende kaum. Die Parteilinke ist mit dem Wahlprogramm zufrieden, zumal es nochmals Korrekturen gegeben hat: Der Leitantrag weicht die Zumutbarkeitskriterien für Hartz-IV-Bezieher auf. Sie sollen ein Jobangebot nur annehmen müssen, wenn der ortsübliche Lohn und nicht weniger als der geplante Mindestlohn von 8,50 Euro gezahlt wird.

Der Kanzlerkandidat will in Augsburg erläutern, warum das Programm, das er „links von der Mitte“ eingeordnet hat, richtig für Deutschland ist. „Das, was sozial gerecht ist, ist in den meisten Fällen auch ökonomisch sinnvoll“, lautet nun Steinbrücks Formel, um etwa einen gesetzlichen Mindestlohn und Entgeltgleichheit für Frauen zu begründen. „Wir glauben, dass wir damit auf einer Linie liegen mit einem nennenswerten Teil der Gesellschaft.“

Und Umfragen geben ihm dabei recht. Die Forderung nach einem bundesweiten Mindestlohn findet viel Unterstützung, und 58 Prozent der Befragten befürworteten jüngst im ARD-Deutschlandtrend die Pläne, über Steuererhöhungen mehr Geld für Bildung auszugeben. Inhaltlich sieht sich die SPD gut aufgestellt, die Partei steht hinter dem Kandidaten. Der Nominierungsparteitag Anfang Dezember 2012 machte Steinbrück mit fast 94 Prozent zum Spitzenmann für die Bundestagswahl. Doch die Umfragen beunruhigen auch die Parteispitze. „Wir haben teilweise das Feuer auf uns gelenkt“, räumt Generalsekretärin Andrea Nahles ein. Es sei an der Zeit, „in den Angriffsmodus“ zu kommen. Redehonorare, Kanzlergehalt, peerblog.de – davon wollen sie wegkommen.

Auch Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier richtet den Blick nach vorne. Die Werte in den Umfragen würden sich noch verschieben, sagt er. Der Wahlkampf habe noch gar nicht richtig begonnen. Steinmeier betonte, die Menschen wollten nach fünf Krisenjahren in Europa und einem weiteren Auseinanderdriften von Arm und Reich vor allem, „dass es wieder fairer zugeht“. Die SPD stehe seit 150 Jahren für soziale Gerechtigkeit und werde dieses Thema auch in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen.

Wer Steinbrück auf Terminen wie in der Hamburger Handwerkskammer erlebt, sieht einen Politiker, der längst in Wahlkampfmodus ist. Er wird laut, wenn er über die Energiepolitik der Regierung spricht. „Grottenschlecht“ habe diese den Ausstieg aus der Atomkraft umgesetzt. Er fordert ein stärkeres Vorgehen gegen Steuersünder. „Das ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verbrechen.“

Manchmal wirkt Steinbrück aber auch aufgekratzt vom Kampf gegen die Debatten um seine Person. „Kritik an Politikern darf nicht in Verachtung umschlagen“, sagt er. Eigentlich spricht er gerade von jungen Menschen, die sich immer weniger in die Politik aufmachen. Weil der Stress groß ist, der Druck, der Ärger mit frustrierten Bürgern. Peer Steinbrück redet in solchen Momenten aber auch über sich selbst.