Neonazis suchten Kontakt zur NSU-Frau Beate Zschäpe und wollten außerdem in Gefängnissen ein Netzwerk aufbauen. Eine Spur führt zu einem Insassen in Schleswig-Holstein.

Berlin/Hamburg. Es ist eine unglaubliche Geschichte, die kurz vor dem Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und ihre vermeintlichen Unterstützer die deutsche Justiz schockiert. Und bei den Ermittlungen zu einem rechtsradikalen Netzwerk in deutschen Gefängnissen führt eine Spur auch nach Schleswig-Holstein. In einem hessischen Gefängnis wurde ein Brief eines in Schleswig-Holstein einsitzenden Gefangenen aus dem Spektrum der rechten Szene gefunden, wie ein Sprecher des Kieler Justizministeriums sagte. Deshalb werde derzeit in allen Gefängnissen des Nordens nach entsprechenden Hinweisen beispielsweise bei Postkontrollen gesucht.

Der Verfassungsschutz und das Ministerium hätten jedoch keine Hinweise auf die Existenz rechtsextremistischer Netzwerke in schleswig-holsteinischen Gefängnissen, sagte der Sprecher weiter. In Hamburg hat man derzeit noch keine Hinweise auf eine Verwicklung von Häftlingen in den Fall. „Wie haben keine Erkenntnisse, dass rechtsradikale hessische Gefangene Kontakt zu Gefangenen in Hamburger Justizvollzugsanstalten aufgenommen haben, um ein Netzwerk aufzubauen“, sagte Sven Billhardt, Sprecher der Justizbehörde. Bisher sei die Justiz aus Hessen auch nicht an die Hamburger Behörde herangetreten, sagte er. „Wir werden weitere Maßnahmen ergreifen und die Mitarbeiter sensibilisieren, sobald mehr Erkenntnisse aus Hessen bekannt sind“, so Billardt.

Nach Angaben der hessischen Justiz hat ein neues rechtes Netzwerk in Gefängnissen auch Kontakt zu der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe gesucht. Ihr Name und die Anschrift in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf standen auf einer Liste, die in der Zelle eines Neonazis im Gefängnis Hünfeld in Hessen gefunden wurde. Die Untersuchungen in Hessen soll ein Artikel in den „Biker News“ ausgelöst haben. Verfasser soll eine Person sein, die den gleichen Nachnamen wie ein aus Bad Segeberg stammender Rechtsextremist hat. Ob es sich um ein und dieselbe Person handelt, ließ das Kieler Ministerium offen.

Verein sollte „Aryan Defense“ heißen

Die Häftlinge hatten ihre Pläne mit martialischen Worten untermalt. „Wir gehen davon aus, dass da noch die eine oder andere JVA hinzukommen wird – es muss sich nur erst einmal in der Szene herumsprechen.“ Von „irgendwelchen selbst ernannten Pädagogen“ hatten sie genug und von „sogenannten Gefangenenhilfsorganisationen“ die „Schnauze voll“. So wollte der einsitzende hessische Neonazi Bernd T. im vergangenen Jahr Mitstreiter gewinnen, um einen Verein zu gründen. Der vorgeschlagene Name: „AD“.

„AD“ ist ein einschlägiger Code. Er steht für „Aryan Defense“. Es geht um die Verteidigung der „arischen Rasse“. Die Inhaftierten wollten ein rechtsradikales Netzwerk gründen – also viel mehr als eine harmlos wirkende Hilfsorganisation. Im Strafvollzug fielen die Mitglieder nicht auf. Sie hielten sich an die Regeln, waren pünktlich. Doch im Hintergrund sollen sie immer weiter ihre Kontakte geknüpft haben.

In den vergangenen Wochen wurden laut dem hessischen Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) Zellen im Land durchsucht und Postsendungen überprüft. Verdächtige Gefangene wurden verlegt. Gegen mehrere Personen wird ermittelt. Nach Angaben von Hahn geht es bisher vor allem um zwei bis drei Justizvollzugsanstalten in Hessen, das Zentrum der Aktivitäten liege in Hünfeld – dort, wo der als brandgefährlich geltende Bernd T. sitzt. Die hessische Justiz hofft, dass man das Netzwerk zerschlagen kann, bevor es sich über das gesamte Land ausbreitet.

Im vergangenen September wurden die Haftbedingungen für den mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben verschärft. Laut Bundesanwaltschaft hatte er die Postkontrolle umgangen. Zuvor hatte es Hinweise auf eine mögliche Kontaktaufnahme in die rechtsextreme Szene gegeben. Ob es einen Zusammenhang zum nun aufgedeckten Netzwerk gibt, ist noch unklar.

Erst im Herbst 2011 war eine Organisation verboten worden, die ähnliche Absichten wie der Zusammenschluss in Hessen hegte. Die rechtsextremistische „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ (HNG) war über viele Jahre auf mehrere Hundert Mitglieder angewachsen. In den 90er-Jahren hatten auch der spätere NSU-Terrorist Uwe Mundlos sowie Personen aus seinem Umfeld Kontakt zur HNG und engagierten sich für Gesinnungsgenossen in Gefängnissen.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich begründete das HNG-Verbot damals damit, dass es „nicht länger hinnehmbar sei, dass inhaftierte Rechtsextremisten durch die HNG in ihrer aggressiven Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestärkt werden“. Die HNG habe zur „Radikalisierung der Neonaziszene beigetragen“.

Nach dem Einschreiten in Hessen sind auch Politiker in anderen Bundesländern alarmiert. Kerstin Köditz, sächsische Abgeordnete der Linksfraktion, wies darauf hin, dass die aufgeflogene Gruppierung von bestehenden Kontakten unter anderem in verschiedene Gefängnisse im Freistaat berichtete.

Köditz kritisierte das sächsische Innenministerium, das noch vor Kurzem erklärt hatte, es gebe keine Informationen über ein derartig operierendes Netzwerk. Sie wies zudem darauf hin, dass sich in der Gruppierung offenbar Neonazis und Rockergangs zusammenschließen wollten. Auch in Hessen warf die Linke der Landesregierung vor, vom Treiben in den Gefängnissen zu wenig mitzubekommen.

Hessen möchte nun, dass sich die Justizminister der Länder auf ihrem nächsten Treffen mit der Organisation beschäftigen. Zunächst soll aber auch in den Gefängnissen genau hingeschaut werden: Bereits bei der Inhaftierung sollen zum Beispiel Tätowierungen untersucht werden, damit rechtsradikale Gefangene nicht zusammengelegt werden. Auch werden die Postkontrollen verschärft.