Gewerkschaften und SPD beklagen Mangel an Fachkräften und geringe Wertschätzung der Mitarbeiter in sozialen Berufen. Bundesweit fehlen rund 30.000 Pflegekräfte.

Berlin. „Altenpfleger haben einen härteren Job als ich.“ Das Bekenntnis der Bundeskanzlerin in der „Bild der Frau“ überraschte vor wenigen Wochen die Öffentlichkeit. Es warf zugleich ein Schlaglicht auf eine Branche, in der die Politik eine Ungerechtigkeit wahrnimmt. Angela Merkel verdient rund achtmal so viel wie eine Altenpflegerin nach fünf Berufsjahren, die mit weniger als 2500 Euro brutto im Monat auskommen muss.

Doch auch zwischen Ausbildungsberufen herrscht eine Vergütungsdiskrepanz, die die Politik zunehmend auf den Plan ruft. Die umfassendste Erhebung, die zu Gehältern in Deutschland existiert, wird alle vier Jahre vom Statistischen Bundesamt erstellt. Die jüngsten Zahlen, die das Amt bereitstellt, stammen aus dem Herbst 2010. Hierfür hatte man 32.000 Betriebe und 1,9 Millionen Gehälter von Arbeitnehmern erfasst und ausgewertet.

Den Daten ist zu entnehmen, dass etwa in der Industrie ein Formgießer auf durchschnittlich 3491 Euro Bruttoverdienst kommt oder ein Betriebsschlosser auf 3327 Euro. Kindergärtner und Kindergärtnerinnen verdienen hingegen nur 2702 Euro, Sozialarbeiter und Sozialpfleger 2513 Euro, Krankenschwestern und Krankenpfleger immerhin 2882 Euro. Die Lohnunterschiede zwischen industriellen Aufgaben und Aufgaben in der Menschenfürsorge sind frappierend. Es sind Beispiele wie diese, die für Gewerkschaften und Parteien zunehmend inakzeptabel erscheinen.

Eine weitere Sorge kommt hinzu: Vor wenigen Tagen meldete erst der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) enorme Probleme in der Gesundheitswirtschaft, Arbeitskräfte zu finden. In den Gesundheits- und sozialen Diensten vermeldeten allein 55 Prozent der Betriebe grundsätzliche Probleme, Stellen zu besetzen. Die DIHK-Studie legte zudem offen, dass die Situation sich noch dramatisieren wird. Die nicht zuletzt demografisch bedingt wachsende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen aufgrund einer wachsenden Zahl älterer Bürger und einer schrumpfenden Fachkräftebasis werde diese Entwicklung künftig tendenziell noch weiter verschärfen, so das Urteil des Reports.

Derzeit fehlen deutschlandweit rund 30.000 Fachkräfte allein in der Pflege. Der demografische Wandel könnte dazu führen, dass das Land 2030 mit 200.000 fehlenden Stellen zu kämpfen hat. Die Politik müht sich seit Längerem, die Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen attraktiver machen. Allein, die Mittel sind begrenzt.

Nach Ansicht von SPD und Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) ist und bleibt die Vergütung das entscheidende Vehikel zum Erfolg. Partei und Gewerkschafter verlangen inzwischen mit Nachdruck erhebliche Lohnsteigerungen in sozialen Berufen. Die Arbeit in Pflegeberufen, die Arbeit mit psychisch Kranken oder die Arbeit von Erziehern sei extrem schwierig und auch belastend, sagte DGB-Chef Michael Sommer im Gespräch mit der „Welt“. Diese Form von Arbeit habe eine bessere Bezahlung verdient. „Menschliche Arbeit hat ihre Würde und ihren Wert – das betrifft insbesondere auch soziale Berufe.“

Sommer geht davon aus, dass soziale Berufe deshalb schlechter bezahlt werden, „weil sie offenbar für unterwertig gehalten werden“. Genauso wie die körperlich belastende Arbeit eines Industriearbeiters ihren Wert habe, habe auch die Arbeit einer Kindergärtnerin ihren Wert, mahnt der DGB-Chef. „Wir müssen in den Sozialberufen aus der Mentalität ‚Geiz ist geil‘ herauskommen“, fordert er. Wer bei Altenpflegern geize, schaffe für die Alten eine unmenschliche Gesellschaft. „Wir werden immer weniger Menschen haben, die diese schwere Arbeit aufnehmen“, so die Befürchtung Sommers. Man könne diese Arbeit über Bezahlung attraktiv machen – aber sie brauche auch gesellschaftliche Anerkennung.

Die Lohngerechtigkeit für soziale Berufe ist eines der Themen, die den DGB-Chef seit seinem Amtsantritt vor elf Jahren umtreiben. Eine Begegnung aus den frühen Tagen seiner Amtszeit hat er nicht so schnell vergessen können. „Als ich 2002 als DGB-Vorsitzender anfing, fragte mich eine Journalistin: ‚Herr Sommer, wo würden Sie Arbeit schaffen, wenn Sie Arbeitgeber wären?‘“ Er habe geantwortet: „Im Bereich Dienstleistungen am Menschen.“ Dann habe die Journalistin gesagt: „Sie sprechen also von einfacher Arbeit.“ „Nein, ich meine schwere Arbeit“, war Sommers Entgegnung. Die Begegnung ist, wie bereits erwähnt, elf Jahre her. Offenbar hat sich seitdem nicht allzu viel gewandelt.

So sieht es zumindest auch der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel. Er mahnte im Gespräch mit der „Welt“ ein gesellschaftliches Umdenken an: „Der Anstand einer Gesellschaft bemisst sich daran, wie sie mit Kindern und mit Alten umgeht“, sagt er. Es gebe in Deutschland eine sehr ungerechte Bezahlung von sozialen und erzieherischen Berufen. „Wenn Sie eine Tonne Stahl bewegen, verdienen Sie mehr, als wenn Sie sechs oder 60 Kilo Mensch in der Kinderkrippe oder im Altenheim bewegen“, kritisiert der SPD-Chef.

Er erinnert allerdings auch daran, dass in der Tradition „unserer Industriegesellschaft“ die technischen und kaufmännischen Berufe viel wert seien – die sozialen und erzieherischen Berufe deutlich weniger. Während man als Kfz-Mechaniker eine Ausbildungsvergütung bekomme, müsse man in der Altenpflegeausbildung oft noch Schulgeld zahlen. „Das muss sich dringend ändern.“