SPD-Kanzlerkandidat ehrt Ferdinand Lassalle und 150 Jahre deutsche Sozialdemokratie

Berlin. Donnerstagmorgen war im Innenhof des Willy-Brandt-Hauses direkt vor der überlebensgroße Statue von Willy Brandt ein kleines Postamt aufgebaut. Die Post erinnerte mit Ersttagsblatt und Sonderpostwertzeichen an den 150. Geburtstag der SPD. Für Philatelisten und Parteifreunde gab es zudem einen einzigartigen Stempel mit dem Konterfei von Ferdinand Lassalle, nur an diesem Tag, nur an diesem Ort. Dafür hielt sich der Andrang in engen Grenzen. Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses und ein paar Journalisten erwerben die ersten Briefmarken, Umschläge und Ersttagsblätter.

Es lohnt, die Briefmarke genauer zu studieren. Sie zeigt die Traditionsfahne der SPD, 1873 zum 10. Gründungstag des ADAV, der ersten Arbeiterpartei Deutschlands, gefertigt. In der Tradition der Französischen Revolution steht in großen, weißen Lettern auf rotem Stoff eingestickt „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Die Freiheit stand an erster Stelle, das war ein Vermächtnis, von dem sich die SPD im Augenblick sehr weit entfernt hat. Im Innenhof hängen die Banner der aktuellen Kampagnen. Da wird Gleichheit gefordert, Gerechtigkeit, Solidarität und faire Löhne, aber das Wort Freiheit findet sich nirgendwo, nur auf der Traditionsfahne der SPD, die auf der winzigen Briefmarke abgebildet ist. Dabei sang der Bürgersohn Lassalle in Abgrenzung zur radikalen Arbeiterbewegung stets das Hohelied der Freiheit. Nur auf dem Boden wirklicher Freiheit könne sich nach Meinung das ADAV-Gründers „alles Große entwickeln“. Und: „Nicht die Freiheit, sondern, was scharf zu unterscheiden ist, die individuelle Willkür, hat ihre Grenze, eine Grenze, die gerade durch das positive und substanzielle Wesen der menschlichen Freiheit an ihr gesetzt wird.“

Es folgt der Auftritt eines freien Geistes, Peer Steinbrück. Gut gelaunt hält er ein kleines Referat über Lassalle, die Anfänge seiner Partei und den Gothaer Parteitag. Mit den Postbeamten fachsimpelt er über den Kunstbeirat, jenes Gremium, das den Bundesfinanzminister bei der Auswahl der Briefmarkenentwürfe berät. „Als Junge habe ich auch gesammelt“, gesteht Steinbrück. Drei bis vier Alben müsse er noch haben. Schwerpunkte seiner Sammlerleidenschaft waren Marken aus der Kolonialzeit, der Weimarer Republik und der Zeit bis 1945 gewesen. Mit seinem jüngeren Bruder läge er überkreuz, weil dieser ihm vorwirft, dessen Briefmarkensammlung kassiert zu haben. Angeblich für ein paar Legosteine, wie Steinbrück lächelnd ergänzt. „Gewissensbisse?“, fragt eine ältere Dame. „Nein, bis heute nicht. Einige behaupten ja, hätte ich nie.“

Die Postbeamten sind zufrieden, wie ruhig und konzentriert Steinbrück stempelt. „Sie würde ich sofort einstellen“, lobt einer. „Vielleicht komme ich darauf zurück“, feixt Steinbrück. Zum Briefmarkensammeln ist er als Politiker nicht mehr richtig gekommen. Aber vielleicht ist der Augenblick günstig, wieder damit anzufangen. „Jetzt habe ich ja wieder Zeit, es zu tun“, kokettiert er nicht ohne Charme.