Kanzlerin auf Truppenbesuch in der Türkei. Beitrittsgespräche zur EU sollen offen gestaltet werden. SPD kritisiert unfairen Umgang mit Ankara.

Kahramanmaras. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Einsatz der Bundeswehr zur Raketenabwehr an der türkisch-syrischen Grenze gewürdigt. Zum Auftakt ihres Türkeibesuchs sagte Merkel am Sonntag vor deutschen Soldaten, ihr Einsatz habe einen hohen politischen Stellenwert. Im südtürkischen Kahramanmaras sind 300 Bundeswehr-Soldaten mit "Patriot"-Raketenabwehrsystemen stationiert, die die Türkei gemeinsam mit anderen Nato-Soldaten vor Angriffen aus dem benachbarten Syrien schützen sollen.

Merkel hat Syrien davor gewarnt, den Bürgerkrieg in benachbarte Länder zu tragen. Die Stationierung der Raketen sei ein Signal, dass die Nato dies nicht zulasse, sagte Merkel. "Wir wissen, dass Konflikte wie der in Syrien letztlich einer politischen Lösung bedürfen." Skeptisch äußerte sich Merkel zu Waffenlieferungen an die syrische Opposition: "Deutschland ist hier sehr zurückhaltend." Man habe im Fall Libyen gesehen, dass solche Waffen dann auch in falsche Hände gelangen und in Mali eingesetzt würden. Merkel äußerte sich auch zu der Haltung der Regierungen in Moskau und Peking, die bislang im Uno-Sicherheitsrat eine schützende Hand über den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gehalten haben. "Angesichts der schrecklichen Ereignisse verstärkt sich der Eindruck, dass China und Russland sehen, dass Herr Assad keine Zukunft hat, dass seine Zeit abgelaufen ist und es eine demokratische Regierung geben muss."

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat derweil die internationale Gemeinschaft zum Protest gegen Gräueltaten des syrischen Präsidenten Assad aufgerufen. Erdogan nannte Assad einen "stummen Teufel", der sein eigenes Volk angreife, sich aber nicht gegen die israelische Besetzung der Golanhöhen zur Wehr setze. Erdogan äußerte sich bei einer Regierungskonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Emirate unterstützen wie andere Golfstaaten die Rebellen, die Assad zu stürzen versuchen. Der Bürgerkrieg hat seit Mitte März 2011 nach Uno-Angaben bis zu 70.000 Menschen das Leben gekostet.

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) besuchte die Truppe bereits am Sonnabend gemeinsam mit seinen türkischen und niederländischen Amtskollegen, Ismet Yilmaz und Jeanine Hennis-Plasschaert. De Maizière mahnte: "Wenn irgendjemand in Syrien auf dumme Gedanken kommen sollte, steht hier nicht die Türkei oder Deutschland oder die Niederlande, sondern die Nato insgesamt." Er versicherte, der Einsatz werde "so lange wie nötig" dauern. Er bekräftigte die rein defensive Ausrichtung des Einsatzes.

Merkel will in der Türkei die stockenden EU-Beitrittsgespräche wieder beleben. "Ich bin dafür, dass wir jetzt ein neues Kapitel in diesen Verhandlungen eröffnen, damit wir auch ein Stück vorankommen", sagte sie in ihrer Videobotschaft. Sie selbst sei zwar skeptisch, was den Beitritt angehe, die Gespräche sollten aber fortgesetzt werden. "Wir führen diese Verhandlungen ergebnisoffen", betonte die Kanzlerin. In die Beitrittsverhandlungen mit der EU ist zuletzt wieder Bewegung gekommen, weil Frankreich seinen Widerstand gegen die Eröffnung des Kapitels zur Regionalpolitik aufgegeben hat. Vor allem die EU-Staaten Zypern und Frankreich blockierten bisher die Aufnahme von Gesprächen auf etlichen der 35 Themenfelder.

SPD-Chef Sigmar Gabriel verwies darauf, dass das Problem der stockenden Gespräche mit der Türkei auch auf die EU selbst zurückzuführen sei. Merkel müsse der Türkei signalisieren, dass sie bereit sei, fair in die Verhandlungen zu gehen. Gabriel warf Merkel einen unfairen Umgang mit dem Land am Bosporus vor. "Seit 50 Jahren wird die Türkei hingehalten", sagte Gabriel. Es geht nach seinen Worten nicht darum, "dass die Türkei morgen beitritt". Doch müssten die Beitrittsverhandlungen, "die vielleicht noch fünf, zehn Jahre dauern werden, (...) endlich wieder aufgenommen werden".

Die Mehrheit der Deutschen lehnt einer Umfrage zufolge jedoch einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ab. 60 Prozent seien dagegen, dass das Land in die Staatengemeinschaft aufgenommen werde, ging aus einer Emnid-Befragung im Auftrag von "Bild am Sonntag" hervor. Nur 30 Prozent seien dafür.

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle forderte ebenso wie zuvor Außenminister Guido Westerwelle (FDP), dass die EU auf die Türkei zugehen müsse. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht irgendwann vor der Situation stehen, dass Europa mehr Interesse an der Türkei als die Türkei Interesse an Europa hat", sagte Brüderle dem "Tagesspiegel am Sonntag".

Für eine Kontroverse sorgt auch das Thema doppelte Staatsbürgerschaft. Bisher müssen sich Einwandererkinder aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland bis zum 23. Lebensjahr entscheiden, welchen Pass sie behalten wollen. Dies betrifft viele in Deutschland lebende türkischstämmige Jugendliche. Die FDP will dies mit Blick auf die rund 80 Prozent der Türken, die sich noch nicht entschieden haben, korrigieren. Merkel und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) haben bisher Änderungen am Staatsbürgerrecht abgelehnt.