Weder das Gesetz zur Stärkung der Opfer noch der versprochene Hilfsfonds wurden vom runden Tisch gegen Kindesmissbrauch umgesetzt.

Berlin. Was tun Politiker, wenn sie keine Ergebnisse vorweisen können? 1. Sie versuchen, die Schuld jemand anderem zuzuschieben. 2. Sie schmücken sich mit den Erfolgen anderer. 3. Sie erklären kleine Schritte zu Riesenergebnissen. Alle drei Varianten konnte man am Mittwoch im Humboldt Carré in Berlin beobachten. Da traten gleich zwei Bundesministerinnen (und eine Staatssekretärin) vor die Presse, um zu erklären, was aus den Vereinbarungen des runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch geworden ist. Der hatte vor gut einem Jahr seine Arbeit beendet.

Die ehrliche Antwort wäre gewesen: nicht viel. Stattdessen verwandten sowohl Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) als auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) einige Zeit darauf, zu erläutern, was schon alles erreicht wurde. Ausführlich erzählte die Justizministerin von dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Opferrechte, der aus ihrem Haus stammt. Er sieht vor, dass Mehrfachvernehmungen von Opfern vermieden werden und es leichter für sie wird, einen Opferanwalt zu bestellen. Außerdem sieht er vor, dass die zivilrechtlichen Verjährungsfristen, um nach einem Missbrauch auf Schadenersatz klagen zu können, verlängert werden. Bislang besteht der Anspruch nur drei Jahre ab dem vollendeten 21. Lebensjahr. Er soll auf 30 Jahre ausgedehnt werden. Warum der bereits im Frühjahr 2011 beschlossene Gesetzentwurf nach einer ersten Lesung nun seit über einem Jahr im Rechtsausschuss feststeckt, vermochte Leutheusser-Schnarrenberger nicht triftig zu erklären. Sie sei, sagt die Ministerin in Berlin, aber "zuversichtlich", dass das Gesetz noch in dieser Legislatur verabschiedet werde.

Kristina Schröder plagt sich wiederum mit dem Hilfsfonds, den der runde Tisch den Opfern versprochen hatte. Dieser sollte 100 Millionen Euro schwer sein und unter anderem jene Betroffene finanziell unterstützen, die von den Krankenkassen nicht abgedeckte Therapien in Anspruch nehmen. Das Geld sollte zur Hälfte vom Bund, zur Hälfte von den Ländern kommen. Nun, ein Jahr später, trat Schröder vor die Presse und erklärte, dass von den Ländern bislang nichts gekommen sei. Nur Bayern hat schriftlich seine Beteiligung zugesagt. Auf Nachfrage musste Schröder zugeben, dass sie nicht einmal den Ministerpräsidenten ihres eigenen Bundeslandes Hessen, den Parteikollegen Volker Bouffier, überreden konnte, sich am Fonds zu beteiligen. Die Kritik der Länder, es liege kein Konzept zum Hilfsfonds vor, wiesen beide Ministerinnen zurück. Die Länder wiederum wollen erst eine Anzahl von Bedingungen erfüllt sehen: Sie fordern zum Beispiel, dass erst auch die Fristen für die strafrechtliche Verfolgung heraufgesetzt werden sollen, bevor sie bereit sind zu zahlen. Das empört die Opfer.

"Das ist, als ob akute Verkehrsopfer nicht versorgt werden dürften, solange kein neues Unfallkrankenhaus gebaut wird", sagt Matthias Katsch vom Eckigen Tisch, dem Verband der Opfer von Missbrauch in Jesuiten-Einrichtungen. "Es muss doch möglich sein, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen." Man müsse auch endlich nachhaken, warum sich private, also auch konfessionelle Schulen und Internate zu rechtsfreien Räumen entwickeln konnten, forderte Katsch.

"Weshalb fand damals und findet bis heute eine wirkliche Schulaufsicht in diesen Einrichtungen nicht statt?" Vor allem das Ausmaß der Taten in kirchlichen Einrichtungen sei völlig unklar. "Wie viele Täter gab es, von wie vielen Opfern reden wir, welche Bischöfe und kirchlichen Vorgesetzten haben wann was gewusst und vertuscht? Wo sind die Akten geblieben?", fragt Matthias Katsch. Wie ist es um den Rechtsschutz für Opfer bestellt? Erforderlich sei, auf nationaler Ebene die Geschichte von Gewalt und sexuellem Missbrauch aufzuarbeiten. Diese Unabhängige Kommission müsse durch das Parlament beauftragt werden, diese Fragen abzuarbeiten. "Die Bezüge zur Schwarzen Pädagogik der Nachkriegszeit, zu den Gewaltregimen in den Heimen sind unübersehbar und gehören mit in den Blick genommen."

Auch beim Kinderschutzverein "Innocence in danger" ist man enttäuscht: "Das Ergebnis ist sehr mager", sagt Geschäftsführerin Julia von Weiler. Das sei ein Signal, dass man eigene Strukturen der Hilfe schaffen müsse und sich nicht allein auf die Politik verlassen könne. 12.000 Fälle von Kindesmissbrauch kommen jährlich laut Kriminalstatistik zur Anzeige - 33 pro Tag. Eine hohe Dunkelziffer gilt als sicher.

Um dennoch über Erfolge sprechen zu können, verwies Kristina Schröder auf das Anfang 2012 in Kraft getretene Kinderschutzgesetz und die für März geplante Präventionskampagne "Trau Dich". Sabine Leutheusser-Schnarrenberger betonte, ihr Ministerium fördere mit 387.000 Euro jährlich das Präventionsprojekt "Kein Täter werden" an der Berliner Charité. Das ist aber schon 2005 ins Leben gerufen worden.