Niedersachsens McAllister? Eine Bildungsministerin aus dem Süden? Jede Variante birgt für die Kanzlerin Angela Merkel einige Risiken.

Berlin. Annette Schavan möchte nach der Bundestagswahl im September weiter Ministerin bleiben. Das sagte sie schon vor Monaten, als die Vorwürfe, sie habe in ihrer Doktorarbeit von 1980 plagiiert, bereits bekannt waren. Nun hat der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf Schavan den Doktorgrad aberkannt. Auf die Zeit nach der Wahl blickt daher keiner mehr, entscheidend sind die kommenden Tage und Wochen. Die Opposition fordert Schavans Rücktritt. Als Vorbild für Doktoranden, die wissenschaftliche Regeln unbedingt einhalten müssen, sei sie ungeeignet. Auch der Deutsche Hochschulverband, die Vertretung der Hochschullehrer, hat sich angeschlossen. Wie lange kann die Ministerin standhalten? Wer könnte ihr nachfolgen? Fünf Szenarien

Szenario 1: Schavan bleibt (zunächst)

Sie wolle kämpfen, hat die Ministerin häufig kundgetan. Auf den Kampf hat sie sich zweifach vorbereitet. Zum einen hat sie der Universität bis zum Tag der Entscheidung keine Vorwürfe gemacht, damit die Freiheit der Wissenschaft respektiert. Sie hat deshalb in der Wissenschaftsszene durchaus noch Unterstützer, die sie nun mobilisieren kann. Auch hat sie mit der Ankündigung, das Grundgesetz zugunsten der Hochschulen ändern zu wollen, damit die wieder mehr Geld vom Bund erhalten können, Begehrlichkeiten geschaffen. Bereits vor zwei Wochen bemängelten führende Organisationen das Verfahren der Universität Düsseldorf. Folgt jedoch eine publizistische Schlacht, werden viele Scherben übrig bleiben.

Schavan wird bewerten müssen, ob es in ihrem Interesse ist, innerhalb der Wissenschaftsszene eine Spaltung zu provozieren, die dem ohnehin ramponierten Ansehen akademischer Grade noch mehr Schaden zufügt. Zum anderen wird Schavan vor das Verwaltungsgericht Düsseldorf ziehen. Ihre Anwälte verschickten kaum eine Stunde nach der Entscheidung den Text an die Presse. Scheitert sie dort, ist auch ein Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster möglich, selbst das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig könnte noch angerufen werden. So könnte sich die Ministerin leicht bis zur Bundestagswahl retten. Schavan wird so zu einer Belastung für den Wahlkampf. Kurzfristig dürfte sie im Amt bleiben, bis zur Wahl wird sie wohl nicht durchhalten.

Wahrscheinlichkeit: sehr gering

Szenario 2: McAllister kommt (doch)

Für den Fall eines Rücktritts sehen viele den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister in der Verantwortung, nach Berlin zu wechseln. Als einen der fähigsten CDU-Politiker hat Angela Merkel McAllister nach der verlorenen Wahl bezeichnet. Doch er zaudert. In die Landes-CDU heißt es, er wolle nicht. Bisher bestand McAllister darauf, sich einige Monate besinnen zu dürfen, wie es für ihn weitergeht. Seine Zukunft sieht er dabei in der Politik oder in der Wirtschaft.

Ein klares Ja oder Nein kam zwar von ihm bisher nicht, Merkel müsste den Niedersachsen aber offensichtlich schon beknien, damit der schon vor der Bundestagswahl ein Amt übernimmt. Zumal eines, das nicht eben glänzt und in dem der Wahlverlierer nicht leicht für neuen Glanz sorgen kann. McAllister hat keine bildungspolitische Expertise. Er hat in Niedersachsen an Studiengebühren festgehalten und damit zur Niederlage beigetragen. Auch wichtige Projekte wie die Inklusion sind in dem Land nicht vorangekommen.

Wahrscheinlichkeit: sehr gering

Szenario 3: Gröhe übernimmt

Für David McAllister könnte es attraktiver sein, Hermann Gröhe als Generalsekretär der CDU zu beerben. Immerhin hat McAllister in seinem Wahlkampf Erfahrung gesammelt. Er hat zwar nicht gewonnen, aber eine Aufholjagd hingelegt und kann aus Fehlern immerhin Schlüsse für den Bundestagswahlkampf ziehen. Gröhe hat sich zudem intensiver als zu erwarten mit Bildungspolitik beschäftigt. Die CDU hatte zu diesem Thema 2011 in Leipzig einen Parteitag abgehalten. Er würde also nicht bei null anfangen. Zudem genießt er das Vertrauen der Kanzlerin.

Hermann Gröhe allerdings acht Monate vor der Bundestagswahl als Generalsekretär zu ersetzen und ins Bildungsressort zu schicken, ist äußerst riskant. Undenkbar ist es nicht. Zumal mit McAllister der fernsehtauglichere und beliebtere Politiker nachrücken könnte. Wenn nicht, ja, wenn nicht die Landesverbände auf dem Regionalproporz beharren. Dann müssten beide Ämter von den zuletzt etwas vernachlässigten Nordrhein-Westfalen ausgefüllt werden. Wird Gröhe Minister könnte etwa der parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Steffen Kampether, General werden.

Wahrscheinlichkeit: hoch

Szenario 4: Ein Landesminister kommt nach Berlin

Die CDU hat viele Bildungs- und Wissenschaftsminister verloren - durch Wahl und Rücktritt. Einige könnten das Amt ausfüllen, wären da nicht spezifische Probleme: Sachsens ehemaliger Kultusminister Roland Wöhler entwarf mit Schavan die neue CDU-Bildungspolitik zum Parteitag 2011. Dann überwarf Wöhler sich aber mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich und trat zurück. Zudem sah sich Wöhler mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Das empfiehlt ihn nicht eben. Das Gleiche gilt für Bernd Althusmann, Noch-Kultusminister in Niedersachsen. Beide behielten ihre Titel, doch Zweifel blieben. Sind noch zwei Damen als potenzielle Nachfolgerinnen übrig: Marion Schick, die ehemalige Kultusministerin Baden-Württembergs, und Johanna Wanka, Wissenschaftsministerin Niedersachsens. Für Schick spräche, dass sie wie Schavan den Südwesten repräsentiert, wenngleich sie aus Bayern kommt. Schick hat sich allerdings als Personalvorstand der Telekom neuen, lukrativeren Aufgaben zugewandt.

Bleibt Johanna Wanka. Sie ist die ideale Kandidatin. Als Wissenschaftsministerin war die gebürtige Sächsin hoch geachtet. Auch der Frauenanteil im Kabinett würde gewahrt. Sicher nicht gegen sie spricht, dass sie lange in Brandenburg Politik machte und Bildungs- und Forschungstraditionen in Ost und West kennt. Ihre Dissertation schrieb Wanka zur "Lösung von Kontakt- und Steuerproblemen mit potenzial-theoretischen Mitteln" 1980 an der Technischen Hochschule Leuna. Das mathematische Thema mag verhindern, dass sich Plagiatejäger über das Werk hermachen. Für Wanka spricht, dass sie frei ist und keine sonstigen Umbauten nötig sind.

Wahrscheinlichkeit: sehr hoch

Szenario 5: Ein Vertreter der Wissenschaft macht's

Über die Hochschulen und die Politik wird eine Debatte hereinbrechen, wie man in Zukunft mit akademischen Graden umgehen will. Eine vermittelnde Figur wäre eine adäquate Interimslösung. Zu denken wäre an Jan-Hendrik Olbertz, derzeit Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin. Olbertz hat politische Erfahrung, da er zwischen 2002 und 2010 Kultusminister in Sachsen-Anhalt war. Er verfügt jedoch nicht über ein CDU-Parteibuch, sondern war nur Minister für die CDU. Angela Merkel steht politischen Außenseitern skeptisch gegenüber. Sie dürfte versuchen, das Amt mit einem "echten" Konservativen zu besetzen.

Wahrscheinlichkeit: eher gering