Im Bundestagswahlkampf soll es keine Unterstützung der CDU für die FDP geben. Soziale Themen werden dafür in Mittelpunkt gerückt.

Berlin. "Traurigkeit, nur Traurigkeit" sei der Inhalt der Sitzungen von Präsidium und Vorstand der CDU gewesen, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer, die Ministerpräsidentin des Saarlandes, am Montag nach den Beratungen der Parteispitze. Ähnlich äußerten sich weitere führende Christdemokraten. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel, die kühle Analytikerin, griff ins Betroffenheitsvokabular: "Wir waren heute einfach alle ein Stück weit traurig", sagte die CDU-Chefin. Nach diesem "Wechselbad der Gefühle" schmerze die Niederlage besonders.

Trotzdem lobte sie den Wahlkampf des gescheiterten niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister und sagte dann: "Umso schwieriger ist es, ein solches Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen." Dies fiel den Bundespolitikern freilich leichter. Denn bei aller ehrlichen gemeinsamen Bestürzung: Während McAllister tatsächlich ein Endspiel verloren hat, wie er in seinem Leben vielleicht kein Zweites bekommt, war der Wahlabend für die Kanzlerin nur eine bittere Vorrunden-Niederlage auf dem Weg zur Bundestagswahl. Und Merkel wäre nicht Merkel, hätte sie nicht sofort die neue Lage analysiert und Lehren gezogen.

Diese sprach sie freilich nicht offen aus, sondern deutete sie eher an. Sie habe immer gesagt, "dass die FDP ihren Weg finden wird", erklärte sie. Der deutliche Erfolg der Liberalen bedeute vielleicht auch, dass es "keine große Angst" mehr um die Liberalen geben müsse. Also eine klare Absage an eine Zweitstimmenkampagne à la Niedersachsen. Die Behauptung des neben ihr stehenden McAllisters, eine solche habe es niemals gegeben, ist, falls er das selbst glaubt, ein krasser Selbstbetrug. Denn der Noch-Ministerpräsident hatte nicht nur den Landesparteitag der Liberalen besucht, sondern auch mehrfach absichtsvoll Raum für Missverständnisse gelassen, wen CDU-Anhänger mit der Zweitstimme wählen sollen.

Dergleichen wird es im Bund sicher nicht geben: "Jeder kämpft für sich allein", stellte Merkel klar. Und mehr: "Für die Verbreiterung der Basis ist es wichtig, sich nicht die Stimmen wegzunehmen", erklärte die Kanzlerin und führte aus, Schwarz-Gelb müsse sich "breit aufstellen". Dies habe man in den Führungsgremien besprochen und "das wird sich so auch im Wahlprogramm finden". Hier kündigte Merkel nicht weniger als einen weiteren Linksruck der CDU an. Denn die Profilierung gegenüber der FDP wird zwar auch auf klassischen Unionsfeldern wie der inneren Sicherheit geschehen, vor allem aber bei Themenfeldern, auf denen rot-grüne Konkurrenz dominiert. So wird die CDU sicher mit einer Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, im Unionsjargon "Lohnuntergrenze" genannt, in den Wahlkampf ziehen und dürfte auch ihre Forderung nach einer Quote für Frauen in Aufsichtsräten im Wahlkampf stark betonen.

Diesen Kurs muss die Vorsitzende ihrer Partei nicht aufzwingen. Im Gegenteil: In der Debatte hinter verschlossenen Türen vorher waren einige Präsidiumsmitglieder noch weiter gegangen. Man möge mit Koalitionsaussagen vor Wahlen künftig vorsichtiger sein, sollen mehrere Präsidiumsmitglieder gemeint haben. Es gelte, die Unterschiede zu Grünen und FDP künftig gleichermaßen herauszuarbeiten. Die soziale Kälte der FDP schrecke manche Unionswähler nicht minder als die Steuererhöhungsfantasien der drei linken Parteien. Mit einem Lagerwahlkampf, wie er gerade in Niedersachsen zu beobachten gewesen sei, könne man zwar die FDP jeweils retten, treibe jedoch viele Nichtwähler den Grünen zu, wurde kritisiert.

Exponierte Vertreter der Festlegung auf Schwarz-Gelb, wie etwa der Fraktionsvorsitzende im Bundestag Volker Kauder, hätten in der Gremiensitzung diesmal geschwiegen, fiel auf.

Die Wahlniederlage in Niedersachsen birgt für die Bundeskanzlerin aber noch weitere Lehren. So hat das Ergebnis für McAllister gezeigt, dass sich gute persönliche Zustimmungswerte eben nicht unbedingt in Stimmen für die CDU ummünzen lassen. Während SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück als Last im sozialdemokratischen Wahlkampf belächelt worden war, zeigt sich nun, dass auch der demonstrative und intensive Einsatz der Bundeskanzlerin und das betont loyale Auftreten McAllisters gegenüber seiner Parteichefin sich nicht auszahlten.

Das erschüttert die bisherigen Grundüberzeugungen vieler Unionspolitiker für die richtige Aufstellung für die Bundestagswahl. Denn die Stimmung in der Bundes-Union war in den vergangenen Wochen deshalb so überschäumend gewesen, weil Merkel in den persönlichen Werten sehr deutlich vor Steinbrück liegt. Allein das hat Unionsanhänger zu der Annahme verleitet, dass es im Bund keine ausgeprägte Wechselstimmung gebe.

Um für das eigene Lager auf Nummer sicher zu gehen, will auch die CSU die Schonzeit für die FDP beenden. Parteichef Horst Seehofer verkündet nach den Gremiensitzungen seiner Partei in München: "Es kann die Lehre nur sein, dass die Union mit aller Kraft für jede eigene Stimme kämpft." Mit Blick auf die FDP fügt er hinzu: "Nur zu schauen, dass man von der Union etwas abknapst, das reicht nicht." Es gehe darum, das gesamte bürgerliche Lager zu verbreitern. Und das sei hauptsächlich Aufgabe der Liberalen. Die sollten neue Wähler gewinnen und nicht um Unionsanhänger werben. "Die FDP hat sicher da den größten Bedarf", ist sich der CSU-Chef sicher.

Noch immer keine Klarheit gibt es über die Termine von Bundes- und Landtagswahl. In der CSU-Vorstandssitzung sprachen sich unter anderem der frühere Parteichef Edmund Stoiber und Landtagsfraktionschef Georg Schmid für getrennte Wahltermine aus. Das Bundeskabinett will im Februar entscheiden - wahrscheinlicher Termin ist der 22. September. Seehofer will erst danach den Wahltermin in Bayern festlegen. Infrage kämen bei getrennten Terminen der 8. oder der 15. September.

Wann auch immer gewählt wird: Ganz verloren hat die Union ihren Optimismus nach Niedersachsen aber nicht. Nordrhein-Westfalens Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann rechnet nicht mit einem Erfolg von SPD und Grünen auch bei der Bundestagswahl. Niedersachsen sei keine Warnung, dass Merkel trotz ihrer hohen Popularität am Ende wie McAllister das Nachsehen haben könnte. Denn im Bund würde nicht nur die FDP ins Parlament kommen, sondern immer auch die Linke. So werde eine Mehrheit von Rot-Grün verhindert, Merkel werde Kanzlerin bleiben - unter Umständen eben nur in einer anderen Koalition. An ein rot-rot-grünes Bündnis mag er nicht glauben.

Aber selbst wenn Schwarz-Gelb im Herbst im Bund wiedergewählt würde, blieben die neuen Machtverhältnisse im Bundesrat bestehen, wo die Opposition nun 36 der 69 Sitze hat. Das würde Merkel das Regieren weit über diesen Wahlkampf hinaus erschweren. Sie sagt dazu: "Ich nehme jetzt einfach mal den SPD-Vorsitzenden beim Wort." Sigmar Gabriel hatte gesagt: "Jeder weiß, dass wir mit Mehrheiten verantwortungsbewusst umgehen."