Die Bindung an den traditionellen Partner wird schwächer. Neue machtstrategische Möglichkeiten eröffnen sich in der Bundespolitik.

Berlin. Schon wieder hinzugewonnen. Seit bald sechs Jahren sind die Grünen bei fast allen Wahlen im Bund und in den Ländern stärker geworden. Auch als sie zwischendurch mal minimal verloren, bei den vorgezogenen Wahlen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen 2012, wurde deutlich, dass sie längst einen ausreichenden Wählerstamm haben, auf den Verlass ist - und der kontinuierlich wächst. Die solide Zweistelligkeit, die sie jetzt in Niedersachsen, nach acht Prozent beim letzten Mal, erreicht haben, entspricht ihrem derzeitigen Stand in bundesweiten Umfragen. Sie haben sich als drittstärkste Kraft konsolidiert.

Bemerkenswert ist, wie wenig die Stärke der Grünen mit dem Ergebnis der SPD zu tun hat. Ob diese wächst wie in Hamburg und NRW oder schwächelt wie in Niedersachsen - die Grünen schöpfen unabhängig davon ihr größer werdendes Potenzial aus. Sie haben sich bei den Prozenten abgekoppelt von der SPD. "Wir haben unseren Teil für eine mögliche rot-grüne Mehrheit geliefert", sagte die niedersächsische Grünen-Spitzenkandidatin Anja Piel gleich nach Schließung der Wahllokale, und Bundeschefin Claudia Roth meinte: "Wir müssen mobilisieren, dass muss die SPD auch."

Damit klang die entscheidende Grünen-Frage dieses Wahlabends an: Sollen sie sich strategisch von der SPD emanzipieren? Schwierig ist die Frage vor allem für ihren Spitzenkandidaten im Bund, Jürgen Trittin. Ausgerechnet in seinem politischen Heimatbundesland Niedersachsen wurde ihm die Bestätigung für seine Grundthese verweigert, dass ein Bündnis der Grünen und der SPD über eine sichere Mehrheit verfügt. Allen Unsicherheiten rechnete Trittin trotzdem vor: "Wir haben alleine so viel gewonnen, wie CDU und FDP verloren haben." Die Botschaft für September sei relativ einfach: "Wenn uns das bei der Bundestagswahl gelingt, genauso viel dazuzugewinnen, und die anderen so viel verlieren, dann war es das mit Schwarz-Gelb. Dann ist das das Ende der Kanzlerschaft Merkels."

Doch die Grünen sind, was auch immer nun im Niedersächsischen Landtag passieren mag, mit zwei heiklen Alternativen zu Rot-Grün konfrontiert. Zum einen mit dem größtmöglichen Affront gegenüber der SPD, einem schwarz-grünen Anbandeln. Zwar wäre das innerhalb der Grünen kaum durchsetzbar. Aber nachdem Schwarz-Grün mit der Wahl von Katrin Göring-Eckardt zur Spitzenkandidatin ins Blickfeld geriet, dürfte diese Perspektive noch interessanter werden für jene Realos, die regieren wollen.

Zum andern ist da - unabhängig von Niedersachsen - Rot-Rot-Grün: Viele Grüne hätten kaum Probleme damit, die vermutlich wieder in den Bundestag gelangende Linkspartei einzubeziehen, aber klar ist, dass man auch damit den Sozialdemokraten das Leben schwer machen würde. Indes: Warum immer Rücksicht nehmen auf die SPD? Haben die Grünen sich nicht genug gequält mit der SPD, etwa unlängst, als sie beim Herunterschlucken ihres Ärgers über Peer Steinbrück schwer ins Würgen gerieten?

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Die Bindung an die SPD lässt sich auch deshalb infrage stellen, weil den Grünen durch diese Landtagswahl einmal mehr bestätigt wurde, wie gut sie mit ihrer eigenständigen Programmatik dastehen. Klar bestätigt wurden die Schwerpunkte: der Einsatz für die Energiewende, von der man sich im windigen Niedersachsen viel verspricht, sowie der Kampf gegen die Massentierhaltung, die im Bürgertum nicht nur die Geruchsnerven, sondern auch das ethische Empfinden strapaziert. Verlässlich mobilisieren diese Themen die Grünen-Klientel und werden im Bundestagswahlkampf der Partei eine wichtige Rolle spielen.

Zwei weitere Grünen-Themen wurden in Niedersachsen bestätigt. Zum einen die Bildungspolitik, in der die Grünen fürs gemeinsame Lernen plädieren. Das schätzen zwar viele bürgerliche Grünen-Wähler beim eigenen Kind nicht - doch hält es sie nicht davon ab, die Partei zu wählen, sodass die Grünen das Thema weiter propagieren können. Zum andern die steuerlichen Belastungspläne: Auch die scheinen Grünen-Wähler, obwohl es da ans eigene Portemonnaie geht, nicht ins Zweifeln kommen zu lassen. Ist daher dieser Wahlausgang für die Grünen eine Bestätigung ihres Kurses, so bleibt umso mehr Zeit fürs Nachdenken darüber, was machtstrategisch daraus folgt.