Sie agieren oft in losen lokalen Gruppen und sind länderübergreifend vernetzt. Auch Frauen spielen in der Szene eine immer stärkere Rolle.

Hamburg. Karl-Heinz Hoffmann war 35 Jahre alt, als er die Wehrsportgruppe Hoffmann gründete. Neonazis übten sich im paramilitärischen Kampf, sie posierten vor der Presse mit scharfen Waffen und Stahlhelm. Bei einer Razzia fand die Polizei Nazipropaganda, Waffen, ein Flak-Geschütz und einen kaputten Panzer. 1980 war das, kurz darauf wurde die Gruppe verboten. Ein Gericht verurteilte Hoffmann zu neun Jahren Haft wegen mehrerer Verbrechen und Vergehen wie Geldfälschung, Freiheitsberaubung, schwerer Körperverletzung und Nötigung.

Heute ist Hoffmann 75 Jahre alt. Und er ist wieder in der Neonazi-Szene aktiv. Nach Angaben des Südwestrundfunks teilte Hoffmann mit, er habe im vergangenen Jahr bundesweit zwölf Vorträge gehalten. Die Teilnehmer hätten sich meistens geheim verabredet. An den Treffen waren auch Funktionäre der verbotenen neonazistischen Organisation Wiking-Jugend dabei.

Es ist das aktuellste Beispiel, das belegt, wie aktiv Rechtsextremisten in Deutschland sind - auch jetzt, nachdem zuletzt mehrere Gruppen verboten wurden. Und das Netzwerk der Neonazis hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt: Es ist gewaltbereiter geworden, es nutzt das Internet für Propaganda und Organisation, Rechtsextreme haben sich in Subkulturen der Jugend stark verbreitet - nicht nur in ostdeutschen Provinzen, sondern auch im Westen des Landes. Und in der Szene spielen Frauen eine immer stärkere Rolle.

Dem Verfassungsschutz sind keine Auftritte Hoffmanns in Hamburg bekannt. "Aber eine hohe Affinität zu allem, was mit Militär und Waffen zu tun hat, gab und gibt es in weiten Teilen der hiesigen Neonazi-Szene und damit übrigens auch der NPD", sagte Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Manfred Murck dem Abendblatt. Allein in Norddeutschland sind 4720 Rechtsextreme aktiv - in Kameradschaften, in Parteien, in losen Gruppierungen, oft überschneiden sich die Milieus stark. 450 davon agieren in Hamburg, etwa 180 sind gewaltbereit. Die Amadeu Antonio Stiftung hat diese Zahlen für jedes Bundesland zusammengestellt. Mitarbeiter recherchierten in Berichten des Verfassungsschutzes, befragten aber auch lokale Vereine und Initiativen sowie staatliche Beratungsstellen.

"Durch die Auflistung der Kameradschaften konnten wir anschaulich zeigen, dass Neonazis oft vor Ort in losen Gruppen organisiert und doch länderübergreifend vernetzt sind", sagt die Vorsitzende der Stiftung, Anetta Kahane, dem Abendblatt. Ziel der Rechten sei ein Netzwerk, das seine Aktionen über die gesamte Republik strecke. Bundesweit zählten Kahane und ihre Mitarbeiter knapp 20.000 Rechtsextremisten. In Mecklenburg-Vorpommern sind 1375 Rechtsextreme in Parteien wie der NPD und Kameradschaften aktiv, in Niedersachsen etwa 1600. Das zeige, dass der Rechtsextremismus kein Phänomen ausschließlich ostdeutscher Städte und Gemeinden sei, sagt Kahane. Die Zahlen seien zudem nur ein Zwischenstand. Eine genaue Zahl der Neonazi-Aktivitäten ist schwer zu ermitteln - denn gerade das Organisieren in lokalen, undurchsichtigen Netzwerken abseits der Parteien wie NPD und DVU ist lange schon Strategie der Neonazis, um sich gegen die Überwachung durch staatliche Sicherheitsbehörden zu wehren. Nach Einschätzungen der Stiftung sind vor allem die Kameradschaften und die sogenannten Autonomen Nationalisten gefährlich. Gerade Letztere entsprechen längst nicht mehr dem Klischee des Neonazis in Bomberjacke und Springerstiefel. Autonome Nationalisten prägen eine eigene Subkultur, informell organisiert, mit flachen Hierarchien innerhalb der Gruppen. Viele tragen Mode wie Kapuzenpullover, hören Hip-Hop oder Heavy Metal. Die menschenverachtende Ideologie aber ist dieselbe wie bei anderen rechtsextremen Organisationen. Und trotz der konspirativen Selbstinszenierung fallen die Gruppen mit gewaltbereiten Aktionen auf. In Hamburg hat sich die Gruppe Weisse Wölfe Terrorcrew mit besonders aggressivem Ton etabliert. Im März durchsuchten Ermittler zudem Wohnungen von 17 Teilnehmern eines illegalen Marsches "gegen den Volkstod" in Harburg. Dahinter steckt die Gruppe Die Unsterblichen. Auch sie ist ein Beispiel für Neonazis, die verstärkt in losen Netzwerken und über das Internet ihre lokalen Aktionen organisieren - sei es eine Propaganda-Aktion oder aber gezielte Gewalt gegen Minderheiten.

Die Zahl der gewaltorientierten Personen sei in Hamburg eher konstant, sagt Verfassungsschutz-Chef Murck. Und doch hätten die Gewalttaten von Rechtsextremen in Hamburg 2012 zugenommen. Ein Grund dafür sei der Neonazi-Aufmarsch im Sommer in Wandsbek gewesen. Genaue Angaben ermittelt die Polizei derzeit.

Aus den Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung wird auch deutlich, dass Frauen stärker als in den Jahrzehnten zuvor die rechtsextreme Bewegung prägen. Fast 40 Frauengruppen wurden in den letzten 20 Jahren gegründet, unterschiedlich in Größe, regionaler Ausdehnung, Relevanz und Lebensdauer. Zwar ging die Präsenz der Frauen in den Kameradschaften zurück, dennoch liege ihr Anteil in Neonazi-Organisationen im Durchschnitt zwischen zehn und 33 Prozent.