Neuer Krankenhaus-Report der AOK kritisiert wachsende Zahl stationärer Behandlungen. Experten bemängeln hohe Bonuszahlungen an Ärzte.

Berlin/Hamburg. Die Zahlen sind alarmierend: 87 Prozent aller Rückenoperationen in Deutschland sind unnötig, hat eine Auswertung der Techniker Krankenkasse ergeben. Ob mit Physiotherapie oder anderen Maßnahmen - diesen Patienten hätte ohne Skalpell geholfen werden können. Und günstiger. Denn die Zahl der Wirbelsäulenoperationen hat sich zwischen 2005 und 2010 mehr als verdoppelt. Das geht aus dem am Freitag vorgestellten Krankenhaus-Report 2013 hervor.

Die Zahl der stationären Behandlungen insgesamt ist demnach seit 2005 um 11,8 Prozent je Einwohner gestiegen. Diese Zunahme lasse sich nur zu einem Drittel mit dem demografischen Wandel erklären, also der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft. Der Geschäftsführende Vorstand des AOK-Bundesverbandes, Uwe Deh, vermutet deshalb, dass zahlreiche Operationen aus medizinischer Sicht gänzlich überflüssig seien. Der Grund für die hohe Zunahme an Operationen liege in "falschen ökonomischen Anreizen".

Der Kassen-Manager belegt das damit, dass es vor allem bei den "lukrativen und planbaren Leistungen" einen Anstieg gegeben habe. Dazu zählen auch Hüft- und Kniegelenksoperationen, auf die sich einige Kliniken spezialisiert haben. Laut Krankenhaus-Report gibt es außerdem einen signifikanten Anstieg beim Wechsel von Defibrillatoren: plus 25 Prozent bei den Herz-OPs innerhalb von zwei Jahren.

"Um den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern, steigern Krankenhäuser die Menge ihrer erbrachten Leistungen", sagte AOK-Mann Deh. Die Kassen wollen die Versicherten davor "schützen".

Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Alfred Dänzer, sagte dagegen, die Zunahme an Leistungen erkläre sich sehr wohl durch den demografischen Wandel, die Krankheitsentwicklung und den medizinischen Fortschritt. Das sei belegt durch eine Studie des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI): "Behauptungen, Krankenhäuser würden aus ökonomischen Gründen unnötig Patienten operieren, haben keine Grundlage." Abgesehen von Not- und Unfällen kämen alle Patienten in den betroffenen Bereichen auf Einweisung eines niedergelassenen Arztes ins Krankenhaus.

Der Vorsitzende der Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, sagte, durch den medizinisch-technischen Fortschritt sei es heute möglich, auch hochbetagte Patienten zu operieren, für die solche Eingriffe früher zu gefährlich gewesen wären. Der politisch gewollte Wettbewerb führe dazu, dass Kliniken sich wie Unternehmen verhielten. Nur eine stetige Umsatzsteigerung sichere ihnen das Überleben am Markt. Der Druck werde von den Geschäftsführungen an die leitenden Ärzte weitergegeben.

Doch die Ärzte werden auch geködert: Viele leitende Mediziner haben Bonusregelungen in ihren Arbeitsverträgen, die sie zu Operationen anspornen. Bisweilen machen die leistungsbezogenen Bestandteile des Vertrags sogar mehr als 50 Prozent aus, das Grundgehalt weniger als die Hälfte der Vergütung. Eine halbe Million Euro Jahresgehalt für einen hervorragenden Chefarzt ist keine Seltenheit.

Anstelle der reinen Zahl der Operationen "muss die Leistungsqualität der ärztlichen Tätigkeit honoriert werden", forderte Andreas Gassen, Vizepräsident des Berufsverbands der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie, zuletzt auf einem Kongress. Der Patient müsse in die Entscheidungen miteinbezogen werden. Das erfordere mehr Zeit für die Behandlung. "Die ärztliche Beratung und die persönliche ärztliche Leistung sind jedoch dramatisch unterfinanziert", kritisierte Gassen.

Und der Wettbewerb unter den Krankenhäusern ist auch in Hamburg ein Thema. Obwohl die Finanzreserven der Krankenkassen überlaufen und die Praxisgebühr gestrichen werden konnte, warnte der Vorstandschef des Albertinen-Diakoniewerks, Fokko ter Haseborg: "Anstatt Wahlgeschenke zu verteilen, sollten die Überschüsse des Gesundheitsfonds besser dazu benutzt werden, Anreize zu schaffen, um den dringend erforderlichen Qualitätswettbewerb im deutschen Gesundheitswesen dauerhaft zu befördern." Das nütze den Patienten am Ende mehr.

Ter Haseborg, der auch Vorsitzender der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft ist, sagte bei einem Albertinen-Symposion in der Handelskammer, man brauche endlich eine "Versorgung aus einem Guss, die niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser, weitere Leistungsanbieter sowie die Krankenkassen einbezieht". Er sprach von Wirtschaftlichkeitsreserven von bis zu 25 Milliarden Euro. Zum Vergleich: In den Gesundheitsfonds aller gesetzlichen Krankenkassen fließen jährlich rund 150 Milliarden Euro Beiträge.

Der frühere schleswig-holsteinische Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) ging in Hamburg mit der schwarz-gelben Bundesregierung und ihrer Gesundheitspolitik hart ins Gericht: "Das ist ein grauenvolles Vor-sich-hin-Wursteln."