Betreuungsgeld, Wegfall der Praxisgebühr, höhere Renten summieren sich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. SPD will vor Verfassungsgericht

Berlin. Hätten die jungen Abgeordneten in der Union oder bei den Liberalen das Sagen, dann gäbe es keinen Streit über den richtigen Kurs der Koalition. Im Namen "der Generationengerechtigkeit" drängen die Jungen der Regierungsfraktionen einmütig auf eiserne Sparsamkeit. Keine schuldenfinanzierten Wohltaten, sondern einen ausgeglichenen Haushalt 2014 sollten sich die Koalitionäre auf die Fahne schreiben, verlangen Philipp Mißfelder (CDU), Reinhard Brandl (CSU), Johannes Vogel (FDP) und andere junge Parlamentarier in einem Brandbrief an ihre Spitzenleute. "Nicht alles Wünschenswerte ist möglich", heißt es darin mit Blick auf die Liste an umstrittenen Maßnahmen, über die der Koalitionsausschuss gestern verhandeln wollte.

Doch gerade darum, Wünsche zu erfüllen, ging es den Teilnehmern des Gipfels. Man wolle ein Zeichen der Einigkeit und Regierungsfähigkeit aussenden. Denn die lange, acht Monate währende Pause seit dem letzten Koalitionsausschuss war geprägt von allerlei Streit. Und so ging es im Kern bei der Zusammenkunft der Spitzen von FDP, CDU und CSU um die Frage: Wie viel darf der Koalitionsfrieden kosten? Zwar nahm Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) an der Zusammenkunft gar nicht teil, weil er beim G20-Treffen in Mexiko weilte. Doch angesichts erwarteter Rekord-Steuereinnahmen von mehr als 600 Milliarden Euro in diesem Jahr und prall gefüllten Sozialkassen hat Deutschlands Kassenwart keine Sorge, dass man sich einige milliardenteure Mehrausgaben nicht leisten könne.

Die CSU ging jedenfalls mit der felsenfesten Erwartung in die Runde, dass der koalitionsinterne Zank um das Betreuungsgeld nun ein für alle Mal beendet würde. Die Kosten für die neue - längst vom Kabinett beschlossene - Familienleistung für Eltern, veranschlagt das Bundesfamilienministerium für das kommende Jahr auf 300 Millionen Euro. Allerdings ist dies nur der Einstieg. Denn während es 2013 zunächst nur 100 Euro für Eltern geben soll, die auf einen Krippenplatz für ihre einjährigen Kinder verzichten, steigt dieser Betrag ab 2014 auf 150 Euro im Monat und wird dann auch für alle Zweijährigen gezahlt, die keinen staatlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) geht deshalb mittelfristig von Kosten für den Bund in Höhe von 1,23 Milliarden Euro im Jahr aus.

Ein Geschenk erhofft sich auch Gesundheitsminister Daniel Bahr. Der Liberale, der gestern seinen 36. Geburtstag beging, wünscht sich seit Langem die Abschaffung der Praxisgebühr. Dies würde nicht nur Patienten entlasten, sondern auch die Ärzteschaft freuen, die lautstark den bürokratischen Aufwand der Zehn-Euro-Gebühr beklagt. Sie bringt den Krankenkassen jedes Jahr rund zwei Milliarden Euro. Da aber die gesetzliche Krankenversicherung derzeit aufgrund der guten Arbeitsmarktlage im Geld schwimmt, könnte die Praxisgebühr fallen, ohne dass dies die Beitragszahler kurzfristig spüren würden. Als Alternative zum Wegfall der Praxisgebühr haben Unionsabgeordnete eine Absenkung des Beitragssatzes ins Spiel gebracht. Weil das Bundesversicherungsamt schätzt, dass 2013 der Überschuss der Kassen auf 20 Milliarden Euro anschwellen dürfte, wäre eine spürbare Entlastung aller Beitragszahler möglich. Auch eine Kombination beider Maßnahmen wurde ins Gespräch gebracht.

Der komplizierteste Brocken, den der Koalitionsgipfel zu bewältigen hat, dürften jedoch die Maßnahmen bei der Rente sein. Hier ist es bislang nicht einmal der CDU gelungen, sich auf eine Linie zu einigen. Eine unionsinterne Rentenkommission hat der Parteispitze für die Verhandlungen eine Vorlage mitgegeben, die die Kosten der unterschiedlichen Vorschläge auflistet. Die Union strebt danach zur Vermeidung von Altersarmut eine Aufwertung niedriger Rentenansprüche an. Dazu empfehlen die Experten die Wiedereinführung der Rente nach Mindesteinkommen, die 1992 ausgelaufen war. Die Kosten steigen nach Berechnungen des Vorsitzenden des Arbeitnehmerflügels der Union, Peter Weiß, bis 2030 je nach Ausgestaltung auf bis zu 2,8 Milliarden Euro.

Damit sich auch für Geringverdiener die private Zusatzvorsorge lohnt, drängen der Wirtschaftsflügel der Union sowie die FDP darauf, künftig großzügiger bei der Verrechnungen der Riesterrente und der Betriebsrenten auf die Grundsicherung im Alter zu sein. Die Kosten dieser Maßnahme hängen davon ab, wie viel der Zusatzeinkünfte die Bezieher von Grundsicherung behalten dürfen. Von bis zu vier Milliarden Euro ist die Rede. Auf Wunsch der Frauen Union sollen zudem ältere Mütter bei der Rente bessergestellt werden.

Die SPD kündigte vorsorglich schon Verfassungsklage gegen das Betreuungsgeld an "Wir werden das Betreuungsgeld verhindern", sagte Generalsekretärin Andrea Nahles der "Bild am Sonntag". Der Staat greife in die Wahlfreiheit der Familien ein, wenn er das Fernbleiben aus der Kita einseitig finanziell belohne. Er verletze damit das Neutralitätsgebot.