Kanzlerin Merkel trifft bei der Eröffnung des Berliner Mahnmals für die ermordeten Sinti und Roma den richtigen Ton

Berlin. Diktaturen und Gesellschaften, denen eine freie Öffentlichkeit fehlt, schrumpfen Gedenkreden stets zu einem Ritual der Staatsverklärung. Es klingt immer blechern und zu selbstbewusst, Zwischentöne fehlen, eine einfache und einfältige Kunst. Demokratien haben es da schwerer. Wer das Wort erhebt, um vergangener Ereignisse zu gedenken, muss zwei Extreme vermeiden: das Staatsscheppern, aber auch das Schwelgen in einer allzu lyrischen, gefühligen Sprache. So kommt meist etwas Mittleres heraus, an dem es viel auszusetzen gibt, das aber doch irgendwie das gute mittlere Maß ausdrückt, das in freien Gesellschaften herrschen soll.

Dieses Mittlere konnte man in der Hauptstadt Berlin an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erleben, bei zwei ganz unterschiedlichen Veranstaltungen, bei denen die Kanzlerin sprach. Das eine Mal wurde der 25. Jahrestag des Deutschen Historischen Museums gefeiert, tags darauf wurde ein paar Meter vom Reichstag entfernt das - wie es offiziell heißt - Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas eröffnet. Am überraschendsten war vielleicht, dass die Feierstunde, bei der es um den großen deutschen Zivilisationsbruch ging, viel mehr von Gefühl, Emphase und Stil geprägt war als die, bei der ein gelungener Coup bundesrepublikanischer Geschichts- und Museumspolitik heiter gewürdigt werden sollte.

Das ist wohl vor allem dem israelischen Künstler Dani Karavan zu verdanken. Er hat - 20 peinlich lange Jahre nach dem Regierungsbeschluss und gegen viele ebenso peinliche Widerstände - ein Denkmal geschaffen, das Monumentalität ebenso meidet wie Düsternis, pädagogische Provinzialität ebenso wie leichtfertiges l'art pour l'art. Es hält zwischen all diesem die Balance. Das Denkmal, unter Ahornbäumen des Tiergartens gelegen, besteht vor allem aus einem großen kreisförmigen Wasserbecken von zwölf Meter Durchmesser, das - obgleich sehr flach - an einen tiefen Brunnen erinnert, aus dem Schwärze strahlt. In der Mitte befindet sich eine dreiecksförmige Auslassung, die an das Dreieck erinnert, das die Nazis Sinti und Roma an der Kleidung zu tragen zwangen. Durch diese Auslassung wird künftig jeden Mittag eine Blume von unten an die Oberfläche gehoben, begleitet vom Ton einer Geige. Karavan spricht von einem Ritual, von einem Gebet. Denkmäler, hat er einmal auf das nahe gelegene Holocaust-Denkmal anspielend gesagt, sollten dem alltäglichen Betrieb entzogen sein.

Dieses hier, zwischen Reichstag und Brandenburger Tor gelegen, atmet eine berührende Stille. Es ist ein bescheidenes Zeichen von Größe. Obwohl einiges auf Tafeln erklärt wird, wirkt das Denkmal vor allem als Kunstwerk, ohne seine politische Dimension zu verlieren. Das Auffallendste an Denkmalen sei, schrieb Robert Musil, "dass man sie nicht bemerkt". Groß und mächtig stehen die Standbilder in der Gegend herum, aber die Leute nehmen sie nicht wahr. Dani Karavans Denkmal hat vielleicht das Zeug, diesem Schicksal zu entkommen: Weil es klein und markant ist, weil es sich nicht in den Weg stellt und doch stolpern lässt.

Das Denkmal kommt beschämend spät, mehrere Redner wiesen darauf hin, für wie viele der überlebenden Roma und Sinti es zu spät kommt, weil sie gestorben sind. Der Niederländer Zini Weisz, der im Alter von sieben Jahren der Deportation nach Auschwitz entkommen konnte, erzählte die erschütternde Geschichte seiner Trennung von Eltern und Geschwistern. Alle Redner, darunter auch Romani Rose, der ein leichtes Hessisch sprechende Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, zogen mahnend und zur Zivilcourage aufrufend den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart: Auch heute noch seien Roma und Sinti in Deutschland und anderswo in Europa von Rassismus bedroht. Es passierte aber nicht, was sonst so häufig geschieht: Die Vergangenheit wurde nicht pädagogisch in den Dienst der Gegenwart genommen. Und so kam es - in Anwesenheit zahlreicher Roma und Sinti, denen man oft eine gewisse zweifelnde Scheu gegenüber dem neuen Deutschland ansah -, dass diese Veranstaltung, in der eines Völkermords gedacht wurde, einen zuversichtlichen, manchmal sogar heiteren Ton bekam.

Und dazu trug erstaunlicherweise auf ihre Art auch Angela Merkel bei, die sonst ganz der Nüchternheit verschrieben ist. Ohne in den gequält-eindringlichen Ton zu verfallen, den sie bei ihren Neujahrsansprachen an den Tag legt, wurde sie eindringlich und emphatisch. Klar und präzise sprach sie von deutscher Schuld, wich dem schwer erträglichen intellektuellen Skandal nicht aus, dass die NS-Verbrechen nicht zu fassen, nicht zu erklären sind.

Sie sprach von dem, was wir den Toten, und dem, was wir den Überlebenden, aber auch von dem, was wir uns selbst schuldig sind. Auch wenn der Satz etwas wackelte, sie meinte es gut und ernst: "Wir können die Erinnerung in unsere Mitte holen." Sie lobte das Denkmal, "das Gefühl und Verstand gleichermaßen anspricht". Und sie sagte, das maßlose Leid, das Deutsche den Roma und Sinti zugefügt haben, habe viele Gesichter, sei immer individuelles Leid. Für jedes ausgelöschte Leben gelte: "Es war das Leben eines Menschen."

Als am Tag zuvor im etwas schütter besetzten Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums (DHM), dessen Gründungsaktes am 28. Oktober 1987 gedacht wurde, fehlte diese Leichtigkeit. Dieter Stolte, der Vorsitzende des Museumsvereins, hielt zwar ein denkenswertes Plädoyer dafür, dass wir - ohne naiv sein zu müssen - aus der Geschichte lernen können. Und Christoph Stölzl, Gründungsdirektor des DHM, rief aus: "Kinder, wie die Zeit vergeht!" Und schilderte die Geschichte des anfangs angefeindeten Museums als "Abenteuerroman mit gutem Ausgang".

Doch nachdem die lebendigen Altvorderen gesprochen hatten, hielt die Bundeskanzlerin eine staatstragende Rede, in der die Furcht nachklang, das DHM könne - im In- wie Ausland - als eine Stätte nationalgeschichtlicher Selbstbeweihräucherung verstanden werden. Statt offen darüber zu reden und an Beispielen zu zeigen, wie man nationale Geschichten nicht nationalistisch erzählen, zeigen und vertraut machen kann, gab Angela Merkel ein deutschland- und vor allem europapolitisches Kolleg. Alle Mantras der gegenwärtigen Debatte marschierten vorbei: Wir Europäer rücken näher zusammen, Europa ist Friedenswerk und Schicksalsgemeinschaft - und weil das alles im DHM so wunderbar verflochten sei, stehe uns dieses Museum gut zu Gesicht.

Alles richtig, alles gut. Aber die Pointe des DHM ist doch, dass es eine Vorgeschichte hat, die uns heute kaum mehr vorstellbar erscheint. Es sei, befürchtete der Historiker Hans Mommsen zusammen mit fast fallen Diskutanten im "Historikerstreit", ein Instrument im reaktionären Geschichtsrevisionismus Helmut Kohls: Ernsthaft wurde das Museum als eine Gefahr für die Demokratie gesehen! Was hätte die Bundeskanzlerin nicht alles - Geschichte für Geschichte - erzählen können über die zivile, demokratische Wiederentdeckung der eigenen Nation. Stattdessen eine eher lahme europapolitische Überwölbung des Museums, das von 200 Jahre Völkerschlacht und 100 Jahre Erster Weltkrieg bis zu 600 Jahre Reformation vor wichtigen Jubiläen steht, die schwungvoll in Erinnerung gerufen werden wollen.

Das Publikum im Schlüterhof spendete verhalten Beifall. Ganz hinten in der Ecke standen zwei wuchtige Kanonen aus dem Jahr 1708 stumm vor sich hin. Die Dinge, die den Schatz des DHM ausmachen, spielten an diesem schönen Oktobertag leider keine Rolle.