Der Präsident der Europäischen Zentralbank verteidigt seine umstrittene Krisenpolitik und wirbt dagegen noch um Zustimmung.

Berlin. Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), musste gestern mit dem Fraktionssaal der Union vorliebnehmen. Die ganz große Bühne des Plenarsaals wollte ihm die Koalition nicht bieten. Um kurz nach 14 Uhr kam Draghi in Begleitung von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Die Abgeordneten aus dem Europa-, Haushalts-, und Finanzausschuss warteten schon, auch einige andere interessierte Parlamentarier. Draghi musste sich kritischen Fragen stellen. Er sollte Auskunft geben über seine Krisenpolitik. Vor eineinhalb Monaten hatte er angekündigt, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenländern zu kaufen. Bei vielen Bürgern schürt der mögliche Einsatz der Notenpresse Inflationsängste. Das bekommen auch die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen zu spüren.

Wenn schon kein "Gang nach Canossa", wie der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler ihn gefordert hatte, so war es doch einer in die Höhle des Löwen. Schließlich steht der Kurs der EZB nirgends auch nur annähernd so sehr unter Beschuss wie in Deutschland, befeuert durch die regelmäßige Kritik von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und der ehemaligen EZB-Direktoren Jürgen Stark und Otmar Issing.

Noch bevor Draghi im Bundestag eintraf, gab FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle die Linie vor. Draghi müsse deutlich machen, dass die EZB "sich auf Geldwertstabilität zu konzentrieren hat". Er verfolge mit "Sorge" die Tendenz, Staaten "mit Anwerfen der Notenpresse" zu finanzieren. Der Euro-Skeptiker Schäffler warf Draghi gar vor, sich zum "Brandstifter" in der Krise zu machen. Solche Töne kennt der Italiener aus Deutschland schon. CSU-General Alexander Dobrindt hatte ihn vor einigen Wochen als "Falschmünzer" beschimpft. Umso mehr versuchte er nun die Abgeordneten zu umgarnen. Er empfinde es als "besonderes Privileg, im Bundestag, dem Herzen der deutschen Demokratie, zu sprechen". Wer wollte, konnte darin bereits eine Replik auf kritische Stimmen von Parlamentariern sehen, die die mangelnde demokratische Legitimation der EZB-Entscheidungen angeprangert und mehr Transparenz eingefordert hatten.

Nach der Charme-Offensive zum Auftakt gab sich Draghi große Mühe, das Staatsanleihen-Programm zu verteidigen. Und zwar so, dass auch Nichtfinanzprofis eine Chance haben sollten, es zu verstehen. Ausführlich dozierte er über die "geldpolitische Transmission", darüber, wie Zinsentscheidungen der Notenbank normalerweise über die Kreditkonditionen der Banken an die Unternehmen weitergegeben werden - und warum das aus seiner Sicht in diversen Krisenländern der Euro-Zone nicht mehr funktioniert. "Die Zinsen müssen nicht im gesamten Euro-Raum gleich sein. Inakzeptabel sind allerdings große Zinsunterschiede, die auf gestörte Kapitalmärkte oder die Befürchtung, dass der Euro-Raum auseinanderbrechen könnte, zurückzuführen sind", sagte er. Deshalb habe die EZB Staatsanleihen kaufen müssen.

In Deutschland wird dieser Kurs jedoch mehrheitlich weniger als hilfreich denn als höchst riskant angesehen. Entsprechend gering ist das Vertrauen der Bundesbürger in die EZB - in Umfragen gab nicht einmal jeder fünfte Befragte an, dem EZB-Präsidenten zu vertrauen. Draghi versucht nun gegenzusteuern. Die geplanten Staatsanleihenkäufe schützten auch den deutschen Steuerzahler, sagte er vor den Abgeordneten. Sie führten nicht zur Inflation. Daher stünden sie auch nicht im Widerspruch zum Mandat der EZB, Preisstabilität zu gewährleisten. "Vielmehr sind sie essenziell wichtig, damit wir weiterhin stabile Preise garantieren können." Zudem bleibe die Notenbank bei ihren Entscheidungen unabhängig.

Gastgeber Lammert zeigte sich nach der zweistündigen Fragerunde mit Draghi zufrieden. Das Gespräch habe sehr zur Vertrauensbildung beigetragen, sagte der Bundestagspräsident. Auch der Haushaltsexperte der Union, Norbert Barthle (CDU), äußerte sich positiv über Draghi. "Seine Antworten waren sehr überzeugend", sagte Barthle. Die verbreiteten Inflationsängste seien unbegründet.

Für die Opposition gehört ohnehin nicht Draghi an den Pranger, sondern vielmehr Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). SPD und Grüne werfen der Regierung vor, dass sie zwar gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden wettere, aber sich heimlich freue, wenn die EZB als Krisenfeuerwehr einspringe. "Die Bundesregierung unterstützt die außergewöhnlichen Mittel der EZB und damit auch die Einführung von Euro-Bonds durch die Hintertür", sagte SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider. Für ihn sind die Aktionen der Notenbank nicht ausreichend legitimiert. Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick forderte, dass die EZB-Entscheidungen transparenter werden müssten angesichts der großen Rolle, die die Zentralbank mittlerweile bei der Krisenbekämpfung spiele.

Die Kritiker in der schwarz-gelben Koalition konnte Draghi nicht überzeugen. Das hatte er wohl auch nicht erwartet. FDP-Finanzpolitiker Schäffler beschwerte sich, dass der strenge Programmablauf kaum eine Diskussion ermöglicht hätte. Lediglich eine Minute habe er Zeit gehabt, um Draghi eine Frage zu stellen. Seine Befürchtungen seien nicht ausgeräumt. Als er den Fraktionssaal wieder verließ, wurde der EZB-Präsident gefragt, ob er nun besser schlafen könne und sich weniger Sorgen wegen der öffentlichen Meinung in Deutschland mache. "Das wäre wohl ein bisschen viel", antwortete Draghi.